Forschung
Die Selkupischen Sprachen sind nicht unerforscht. Bereits seit dem 19. Jahrhundert untersuchen Forscher unterschiedliche Aspekte des Selkupischen.
Dokumentationen und Korpora
Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde damit begonnen, Sprachproben des Selkupischen zu sammeln. Oftmals wurden diese Sprachproben aber erst in deutlich später herausgegebenen Textsammlungen veröffentlicht:
- Castrén & Lehtisalo (1960) (gesammelt zwischen 1845–1849)
- Grigorovskij (Erstveröffentlichung 1879, Neuveröffentlichung in Hajdú 1973 und in Katz 1988)
- Donners Text des Tym-Dialekt wurde erstmal in 1968 von Hajdú und später von Katz (1975) veröffentlicht
- In den 1930er Jahren begannen G. N. Prokof‘jev und seine Frau E. D. Prokof’jeva, die samojedischen Sprachen intensiv zu erforschen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit finden sich in zahlreichen Publikationen, unter anderem in einer Grammatik des Selkupischen (Prokof‘jev 1935) oder in Schulbüchern (Prokof‘jev & Prokof‘jeva 1940; Prokofjeva 1953).
In Bezug auf die südselkupischen Dialekte muss die sogenannte Tomsker Schule erwähnt werden. In zahlreichen Publikationen (Dul‘zon 1966a,b, 1971, Kuz'mina 1967, 1968, 1974) wurden Texte in den süd- oder zentralselkupischen Dialekten publiziert. Sie wurden auf Feldforschungen gesammelt, die Andreas Dul‘zon und seine Schüler ab den 1960er Jahren durchgeführt haben. Einige Textsammlungen wurden in den 1980er Jahren auch in der Reihe „Skazki narodov sibirskogo Severa“ veröffentlicht.
Die Texte, die von Dul‘zon oder seinen Schüler herausgegeben wurden, sind in einer phonetischen Transkription verfasst, die aber - wie schon einige Forscher, so zum Beispiel Katz (1975: IV), angegeben haben - nicht immer konsequent ist. Diese Tatsache erschwert die Bearbeitung der Texte, macht sie aber nicht unmöglich.
Zahlreiche Texte blieben lange Zeit unveröffentlicht. Mit ihrer Publikation wurde erst in den letzten Jahren begonnen (wie z. B. in Tučkova 2004 oder Tučkova-Helimski 2010). Diese Textveröffentlichungen sind hinsichtlich der Qualität der Transkription konsequenter und zuverlässiger.
Grammatische Beschreibungen
Die Anfänge der Grammatikbeschreibung des Selkupischen kann man im 19. Jahrhundert verorten. Hier muss Castréns Arbeit (1854) erwähnt werden, in der er neben den anderen samojedischen Sprachen auch das Selkupische behandelt.
Die nächste grammatische Beschreibung der selkupischen Sprache erfolgte erst beinahe 100 Jahre später: In den 1930er Jahren beschäftigte G. N. Prokof‘jev sich intensiv mit der Sprache. Seine Werke (1931, 1935, 1937) bilden auch heute noch einen guten Ausgangspunkt für die Erforschung der selkupischen Sprache, obwohl seine Arbeiten tendenziell kurz sind und auf den nördlichen Dialekten basieren.
Nach Prokof‘jev veröffentlichen 50 Jahre später Kuznecova et al. (1980) eine moderne, deskriptive Grammatik. Diese Arbeit kann man als erste korpusbasierte Grammatik des Selkupischen betrachten, da die Beschreibung der Sprache durch die Verfasser auf Basis der in den 1970er Jahren gesammelten Feldforschungsmaterialien erfolgte. Diese Grammatik bleibt leider bis heute die einzige Vollgrammatik, die mehrere Aspekte der Sprache (Phonetik, Phonologie, Morphologie und Syntax) beschreibt.
Die überwiegende Mehrheit der grammatischen Abhandlungen enthält lediglich phonologische und morphologische Beschreibungen, die sich zudem größtenteils genau wie Kuznecovas Arbeit auf die nördlichen Dialekte des Selkupischen stützen.
Die einzige Arbeit, die sich ausschließlich mit dem Thema Syntax auseinandersetzt, ist die syntaktische Beschreibung der samojedischen Sprachen von Tereščenko (1973). Die Autorin beschäftigt sich mit den einfachen Sätzen, wobei sie immer wieder auch selkupische Beispiele angibt, sich hier aber auch vorwiegend auf das Nordselkupische bezieht. Komplexe Sätze fehlen in der Betrachtung, ebenso wie die Beschreibung der Nominalphrasenstrukturen oder der Typen der Prädikation.
Mit der Grammatik der Süd- oder Zentraldialekte beschäftigen sich bisher nur wenige Arbeiten: Kuz’mina (1974) und Bekker et al. (1995a, 1995b) beschreiben in ihren Grammatiken hauptsächlich die morphologischen Eigenschaften der südselkupischen Dialekte, eine syntaktische und auch phonologische Untersuchung fehlt hier völlig.
Unter den Grammatiken muss noch Katz's grammatische Beschreibung des Tym-Dialekts erwähnt werden (1975). Nach heutiger Auffassung handelt es sich hierbei um eine korpusbasierte Beschreibung: Der Verfasser hat die von Kai Donner in den 1910er Jahren gesammelten Materialien ausgewertet und anhand dieser Daten eine kurze Grammatik zusammengestellt. Diese beschränkt sich jedoch neben den Wortkommentaren auf eine sehr knappe phonetische Beschreibung
Neben den oben genannten Arbeiten beschäftigen sich einige kleinere Aufsätze mit speziellen Phänomenen des Selkupischen:
So beschreibt Alitkina (1983) in ihrem nur vierseitigen Artikel nonverbale Prädikate, wobei sie sich nur auf die Attribution konzentriert, auf weitere Typen (wie Zugehörigkeit (proper inclusion) oder Gleichsetzung (equation)) geht sie nicht ein.
Čeremisina (1991) beschreibt die syntaktischen Funktionen des südselkupischen Verbs. Doch auch diese Monografie stellt keine umfassende wissenschaftliche syntaktische Beschreibung dar, fehlen doch wichtige syntaktische Bereiche in der Betrachtung, wie etwa die Nominalphrasenstruktur.
Obwohl viele Aussagen, die Kuznecova et al. (1980) über die Norddialekte getroffen haben, sehr wahrscheinlich auch auf das Süd- und Zentralselkupische übertragen werden können, gibt es in einigen Bereichen erhebliche Unterschiede zwischen den dialektalen Gruppen, die noch genauer erforscht werden müssen.