Lokative und existentiale Prädikation in Sprachen des Ob-Jenissei-Areals
Im DFG-geförderten Projekt "Lokative und existentiale Prädikation in Sprachen des Ob-Jenissej-Areals: Typologie und Informationsstruktur" (07/2022-06/2025) soll der sprachliche Ausdruck lokativer und existentialer Prädikationen in Sprachen Nord- und Zentralsibiriens erforscht werden.
Lokative Prädikationen drücken aus, dass sich ein bestimmter Referent an einem Ort befindet, wie z.B. der Hund ist im Zelt, während existentiale Prädikationen ausdrücken, dass an einem bestimmten Ort ein Referent vorhanden ist, wie z.B. im Zelt ist ein Hund. Dabei wird der zu lokalisierende Referent als "Figure" und der Ort als "Ground" bezeichnet. Beide Strukturen beschreiben einen identischen Sachverhalt, perspektivieren ihn aber unterschiedlich. In lokativen Prädikationen ist die Figure prototypisch definit und Ausgangspunkt der Aussage des Sprechers, während in existentialen Prädikationen die Figure prototypisch indefinit und Teil der Fokusdomäne ist. Die Ausgangshypothese ist mithin, dass lokativen und existentialen Prädikationen eine identische Proposition zugrunde liegt, die sprachabhängig in die eine oder andere sprachliche Struktur disambiguiert wird.Das erste Ziel des Projekts ist es, den sprachlichen Ausdruck lokativer und existentialer Prädikationen in den gewählten Sprachen aus formaler Perspektive zu untersuchen und zu beschreiben. Die Herangehensweise ist hierbei weitestgehend typologisch orientiert. Die betrachteten Sprachen sind:
- finno-ugrische (< uralische) Sprachen: Chantisch, Mansisch
- samojedische (< uralische) Sprachen: Nganasanisch, Nenzisch, Enzisch, Selkupisch, Kamassisch
- Turksprachen: Dolganisch, Sacha (Jakutisch), Chulymtürkisch, Chakassisch
- tungusische Sprachen: Ewenkisch, Ewenisch
- jenissejische Sprachen: Ketisch, Jugisch
- Jukagirisch
Da die Analyse lokativer und existentialer Prädikationen und vor allem ihre Disambiguierung nur im sprachlichen Kontext möglich ist, werden im Projekt, wo möglich, kohärente und gesprochensprachliche Daten verwendet. Erwartungsgemäß variiert die Datengrundlage für die genannten Sprachen in Qualität und Quantität. Wo möglich, werden digitale Korpora genutzt, wie sie beispielsweise im INEL-Projekt entstehen; daneben wird auf (digitale) Textsammlungen, Datenbanken und teilweise grammatische Beschreibungen zurückgegriffen.
Nach der typologischen Analyse soll untersucht werden, wie lokative und existentiale Prädikationen informationsstrukturell konfiguriert sind und welche Schlüsse sich hieraus für die oben angerissenen grundsätzlichen Fragen ziehen lassen. Hierbei kommen vor allem empirische und korpuslinguistische Methoden zum Einsatz, da die Untersuchung informationsstruktureller Phänomene nur unter Berücksichtigung sprachlichen Kontexts erfolgen kann. Es soll die Frage beantwortet werden, ob Informationsstrukturierung ein relevanter und aussagekräftiger Parameter für die Unterscheidung lokativer und existentialer Prädikationen ist.
Abschließend kann somit gesagt werden, dass das Projekt einen Beitrag leisten möchte zu 1) der morphosyntaktischen Beschreibung und Erforschung der Objektsprachen, 2) Ansätzen der Typologisierung lokativer und existentialer Prädikationen und zentral 3) zum theoretischen Verständnis der semantisch-pragmatischen Struktur lokativer und existentialer Prädikationen.