und Kommunikation
Authentizität transformieren. Ein Interview mit Thomas Weber
5. Mai 2015, von Trang Nguyen
Seit Anfang 2015 forschen Wissenschaftler der Universität Hamburg (UHH) und der Kunsthochschule (HfbK) interdisziplinär und gemeinsam im Forschungsverbund Übersetzen und Rahmen. Praktiken medialer Transformation. Die insgesamt sieben Forschungsprojekte beschäftigen sich mit sehr unterschiedlichen Themen, die von Lyrik bis zur Ästhetik und Bewegung im afrikanischen Tanz reichen. Über die Ziele und Hintergründe der Forschungsgruppe Authentizität transformieren. Übersetzen und Rahmen als Praktiken des dokumentarischen Films in medialen Milieus sprach Janine Weißer-Gleißberg mit dem Projektleiter Prof. Dr. Thomas Weber.
Seit Anfang 2015 forschen Wissenschaftler der Universität Hamburg (UHH) und der Kunsthochschule (HfbK) interdisziplinär und gemeinsam im Forschungsverbund Übersetzen und Rahmen. Praktiken medialer Transformation. Die insgesamt sieben Forschungsprojekte beschäftigen sich mit sehr unterschiedlichen Themen, die von Lyrik bis zur Ästhetik und Bewegung im afrikanischen Tanz reichen. Über die Ziele und Hintergründe der Forschungsgruppe Authentizität transformieren. Übersetzen und Rahmen als Praktiken des dokumentarischen Films in medialen Milieus sprach Janine Weißer-Gleißberg mit dem Projektleiter Prof. Dr. Thomas Weber.
J. Weißer-Gleißberg (JWG): Herr Prof. Weber, warum haben Sie sich dazu entschieden, den Dokumentarfilm mit dieser neuen Perspektive zu untersuchen? Was ist das Spannende daran?
Prof. Dr. Thomas Weber (TW): Die Dokumentarfilmforschung hat sich in den letzten Jahren vor allem auf die Definition des Dokumentarischen konzentriert. Das ist, gerade wenn man sich die Vervielfachung der Medien und auch der medialen Formen anschaut, in denen der dokumentarische Film inzwischen zu finden ist, etwas, was eigentlich einen neuen Ansatz benötigt. Das heißt, wir sehen uns heute einer Ausdifferenzierung des Dokumentarischen gegenüber, die es so vorher noch nie gab. Das erfordert unbedingt, dass wir Forscher uns die Praktiken des Dokumentarischen genauer anschauen. Der Ansatz für dieses Projekt ist, dass wir von der Hypothese ausgehen, dass der dokumentarische Film inzwischen konzeptionell selbst mit Medien und seinen medialen Formen spielt, um neue Bedeutung zu generieren. Und das macht er vor allem durch Praktiken des Übersetzens und Rahmens. Das ist für uns der entscheidende Punkt, warum wir uns in diesem Projekt damit beschäftigen.
JWG: Für Leser, die sich nicht mit dieser Thematik beschäftigen: Was wird hier unter den Begriffen Übersetzen und Rahmen verstanden?
TW: Ich will das gerne an einem Beispiel erläutern. Nehmen wir das Reality-TV. Es ist etwas, dem man einen gewissen dokumentarischen Charakter nicht abstreiten kann, auch wenn die Formate die z.B. auf den privaten Kanälen gesendet werden vor allem Unterhaltungsprodukte sind. Hier haben wir es noch nicht mit Übersetzen und Rahmen zu tun. Wenn aber ein Ulrich Seidl als Filmemacher anfängt, in seinen Filmen Konstruktionen zu wählen, die dokumentarisch anmuten, liegt der Fall anders. Er nimmt Verfahren des Reality-TV auf und reinszeniert sie in anspruchsvollen dokumentarischen oder dokumentarisch anmutenden Filmen. Damit stellt er natürlich die Praktiken und auch die Erwartungshaltung unseres Sehens in Frage. Ulrich Seidl, um bei dem Beispiel zu bleiben, wählt eine sehr intime Art des Blickes in seinen Filmen, die wir nicht gewohnt sind. Das berührt häufig peinlich, es kann unangenehm wirken. Das sind aber auch genau die Momente, die Seidl bewusst provozieren will. Wir haben es hier also mit der Übersetzung oder mit einer neuen Rahmung der medialen Reality-TV-Szene zu tun.
JWG: Wer ist an der Forschungsgruppe beteiligt?
TW: Das sind Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter aus Hamburg, da das Projekt auch hier in Hamburg angesiedelt ist und von der Landesforschungsförderung Hamburg gefördert wird. Wir kooperieren aber auch mit externen Partnern wie z.B. Dieter Mersch.
JWG: Welchen theoretischen Rahmen hat die Forschung in Ihrem Projekt?
TW: Wir haben eine Vielzahl von theoretischen Referenzen. Angefangen bei Überlegungen zum Semio-Pragmatismus, Posthermeneutik und Akteur-Netzwerk-Theorie bis hin zu eigenen Entwicklungen.
JWG: Wie gehen Sie bei der Untersuchung des Dokumentarfilms vor? Wie sieht die konkrete Forschungsarbeit aus?
TW: Wir schauen uns an, wie in der Vergangenheit Material immer wieder neu aufgegriffen wurde und neu gerahmt worden ist. Die Fragen, die wir beantworten wollen, lauten: Wie hat man sich aus Archiven bedient und wie wurden Filme für andere Filme zu Archivmaterial? Wie wird und wurde damit neue Bedeutung generiert? Wir schauen aber auch besonders in die Gegenwart. Hier untersuchen wir, wie Filme anfangen unterschiedliche mediale Formen zu imitieren und diese damit in einem anderen Medium neu zu rahmen. Das ist für uns sehr spannend, denn es finden mit jeder neuen Rahmung auch Bedeutungsverschiebungen statt. Es macht einen Unterschied, ob etwas im Fernsehen läuft oder ob es auf YouTube zu sehen ist. Einige Produkte spielen sehr bewusst mit genau dieser Art von Verschiebung. So hat etwa ein Tagesschau-Clip eine ganz andere Wirkung je nachdem, wo man ihn sieht. Nimmt man ihn in der Tagesschau im Fernsehen wahr, in der ARD-Mediathek oder bei YouTube? Es macht einen Unterschied, weil die Art der Garantie eine andere ist. Bei YouTube wurde der Clip unter Umständen von Leuten, die den Clip aufgezeichnet haben, eingestellt. Man weiß nicht, ob es Manipulationen an dem Video gegeben hat. Bei Plattformen wie YouTube steht also nicht mehr unbedingt der Sender selbst dahinter, der mit seinem ganzen Dispositiv versucht die Authentizität zu garantieren.
JWG: Was ist das nächste Zwischenziel der Forschungsgruppe?
TW: Die erste große Zwischenetappe ist erst einmal eine große Tagung im November, auf der wir das Feld genauer abstecken und den Theorierahmen klären. Das ist eine recht komplexe Aufgabe, zu der wir auch Gäste einladen, um das Themenfeld national und international zu besprechen. Tatsächlich ist die Erarbeitung einer theoretischen Grundlage mithin das Ziel der Forschung. Es ist in erster Linie ein Projekt, das von einer gemeinsam zu erarbeitenden Theorie des Übersetzens und Rahmens zusammengehalten wird, denn die Themen der einzelnen Teilprojekte unterscheiden sich doch beträchtlich.
JWG: Was hat Ihnen bisher bei der Zusammenarbeit besonders gut gefallen?
TW: Ich finde es sehr interessant, dass die Kolleginnen und Kollegen in den unterschiedlichen Teilprojekten anfangen, ganz ähnliche Phänomene in ganz unterschiedlichen Gegenstandsbereichen zu beobachten. Mir scheint es wichtig, dass die Ausdifferenzierung des Medialen auch bei den anderen Projekten, die nicht so stark mit neueren Medien zu tun haben, trotzdem eine große Rolle spielt. Wir merken, dass wir in einer sehr mediatisierten Gesellschaft leben und dort spielen Praktiken des Übersetzens und Rahmens eben eine immer größere Rolle. Ob das nun ein Comic ist oder Lyrik oder bestimmte Aufführungspraktiken in afrikanischen Filmen. Hier werden Traditionen neu gerahmt. Das ist sehr spannend.
JWG: Vielen Dank für das Gespräch.