und Kommunikation
Dok des DOKEine Dokumentation des Besuchs auf dem DOKLeizpig
28. November 2016, von Trang Nguyen
Ein Studium des Dokumentarischen wird genau dann rund, wenn man vor Ort ist, um selbst zu beobachten, wie es entsteht und so Zeuge der Dokumentarfilmpraxis wird. Linda Schyma, Studentin in unserem BA Medien- und Kommunikationswissenschaft, berichtet von der Exkursion zum DOKLeipzig 2016.
Ein Studium des Dokumentarischen wird genau dann rund, wenn man vor Ort ist, um selbst zu beobachten, wie es entsteht und so Zeuge der Dokumentarfilmpraxis wird. Linda Schyma, Studentin in unserem BA Medien- und Kommunikationswissenschaft, berichtet von der Exkursion zum DOKLeipzig 2016.
Der erste Tag – ich stehe in der großen Eingangshalle des Museums der bildenden Künste Leipzig. An die Decke sind Gebäude gemalt, die Weite vortäuschen. Wir stehen in der Schlange für Akkreditierte, hinter und vor uns jeweils Menschen, die ich mir gerne ansehe, während wir warten; sie alle haben die Badges, die auch meine Kommilitonin und ich gleich erhalten werden, umgehängt. Vor mir in der Reihe stehen ein Mann mit Brille und hochgegelten Haaren, eine ältere Dame mit feinem Hut und eine russisch sprechende Frau mit weißen und schwarzen Dreadlocks. Zum DOKLeipzig wollen Menschen aller Altersklassen und sozialer Zugehörigkeit.
Ich bekomme am Schalter meine Akkreditierung und setze mich mit meinen Kommilitonen an einen Tisch, um unser Film-Programm für die nächsten Tage zusammenzustellen. Wir gehen die Timeline durch und während wir durch die Filmbeschreibungen blättern, höre ich hinter mir einen interessanten Dialog:
„Ah, die Filmindustrie“, raunt ein Mann hinter mir.
„Es ist ja auch sehr schwierig heutzutage, überhaupt noch Förderung zu kriegen. Aber du brauchst was, was sie wirklich umhaut, weißt du, einen AnimaDok erster Klasse, genau das brauchen wir.“
Ich höre gespannt zu und versuche, die Mechanismen der Dokumentarfilmwelt zu verstehen; man trifft sich hier auf dem DOK. Es herrscht eine besondere und familiäre Stimmung.
„Ich bezahl die Rechnung für dich“, sagt der Regisseur zu seiner Produzentin und lacht.
Ein besonderer Moment war die Filmsichtung im Ostbahnhof. Mitten im Bahnhofsdurchgang ist eine Leinwand aufgespannt. Es ist kalt und zugig. Aber wir haben zumindest noch Stühle ergattert, andere sitzen auf den Treppenstufen. Wir haben die Hände in unseren Jackentaschen vergraben und warten gespannt auf den Film. Reisende haben sich mit ihren Rollkoffern neben uns gestellt. Der Eröffnungsfilm ist in diesem Jahr ein Stop-Motion-Animationsfilm und heißt Ma vie de courgette oder My life as a zucchini und handelt nicht von Gemüse, sondern von einem kleinen Jungen, der in einer Auseinandersetzung seine eigene Mutter tötet und danach in ein Waisenheim kommt. Zunächst wird er dort von einem anderen Jungen, Lucas, gehänselt, und ist sehr einsam; mit dabei ist immer der gelbe Drachen, den er von Zuhause mitgebracht hat. Aber dann schließt er mit einem Polizisten Freundschaft und lernt Camille kennen, ein Mädchen, deren Familiengeschichte ebenso grausam ist wie seine. Ihr Vater hat sich umgebracht, die Mutter hat er auch getötet; und Camille stand daneben und sah das alles mit an.
Diese Charaktere und ihre übermäßig großen Köpfe schließt die Mehrheit des Publikums gleich ins Herz; und irgendwann bemerken wir die Kälte in der Bahnhofshalle nicht mehr. Wir lachen und verdrücken eine Träne.
Am nächsten Tag haben wir die Chance im Cinestar, einem der größeren am Festival beteiligten Kinos, einen AnimaDok-Talk zu hören. Einer der Animatoren von Ma vie de courgette ist im Talk zu Gast, trägt Anzug, Schal und hat einen gepflegten Bart. Er fordert die Zuhörer auf, Fragen zu stellen und erzählt, wie unglaublich durchorganisiert der Dreh des Films war; die Puppen der Charaktere Lucas und Courgette sind vorne auf einem Tisch ausgestellt.
Er zeigt uns die filigranen Kleinteile, die für die Gesichtsausdrücke der Figuren im Film nötig sind; Courgettes Mund beispielsweise existiert in zwanzigfacher Ausfertigung, mal ist das kleine Kunststoffstück ein Kreis, wenn Courgette nachdenklich ist, dann wieder ein nach oben gekrümmtes Halbrund, wenn er zaghaft lächelt. Es ist faszinierend, mit welcher Präzision man die Skelette der Figuren entworfen und sie über die Jahre hinweg immer wieder überarbeitet hat; selbst die Augen sind animiert und bewegen sich beinahe unmerklich von links nach rechts, um die ihre Umgebung aufnehmenden Augen echter Menschen nachzustellen.
All diese Teile hat man während der Dreharbeiten in exakt beschrifteten Kästen und Kisten aufbewahrt und der Animator erzählt, dass schon die Verspätung einer einzigen Produktionseinheit um ein paar Minuten, sei es die Logistik, das Aufräumteam oder die Animation, zu einer Verzögerung von bis zu vier Drehtagen geführt hat; beim Stop-Motion-Film sind Konzentration, Organisation und Sorgfalt gefordert und es ist wunderbar, die wundersamen kleinen Puppenköpfe, deren Gesichter magnetisch sind, damit die kleinen Münder und Augenbrauen ausgewechselt werden können, aus der Nähe zu betrachten.
Ebenfalls habe ich einen Kurzfilmblock besucht, auf dem der AnimaDok-Film Oscar aus Kanada lief. Das Leben des Jazzmusikers wurde durch Animationen bunt gemacht; man sieht das Herz des Musikers, auf comicartigen Zeichnungen schlagen. Direkt im Anschluss an diesen Film läuft mein persönlicher Favorit, eine in der amerikanischen Metropole spielende Dokumentation namens 21 x New York. Zu hypnotischen Beats führt die Kamera an Hausfassaden vorbei, hinter denen Menschen miteinander schlafen, durch die U-Bahn zu einer Gruppe von Breakdancern. Man hört einen Mann in der U-Bahn über die Zusammenhänge der Welt sprechen: „Irgendwann werden wir alle keine Individuen sein, sondern nur noch Daten auf einer Festplatte.“ Diese philosophischen Gedanken stammen vom Regisseur selbst, der den Charakter zu seinem Spiegel gemacht und ihm die Sätze diktiert hat. Die Geschichten der Protagonisten stammen alle von Menschen, die der Regisseur Piotr Stasik auf der Straße in New York getroffen hat und zeigen die Vielfalt des Lebens in New York ganz nah.
Ein weiterer Dokumentarfilm hat mich auf dem DOKLeipzig beeindruck: Man and Might, in dem Irene Langemanns den russischen Aktionskünstler und Aktivist Piotr Pawlensky begleitet. In dem politischen Porträt ist man dabei, wenn er sich den Mund zunäht und es so der Polizei erschwert, ihn zu verhören. Mit seiner Aktion setzt Pawlenksy das System, das normalerweise alle sofort vernimmt, außer Kraft.
Die Exkursion zum DOK Leipzig war für die Teilnehmer der Seminare „Dokumentaristen im Fernsehen“ und „DOK Art World“ eine bereichernde Erfahrung. Denn ein Studium des Dokumentarischen wird genau dann rund, wenn man selbst zu beobachten beginnt und hinter die Kulissen schauen kann. Denn wie soll man lernen, wie Filmemacher vorgehen, wenn man die ganze Zeit in einem Philosophenturm sitzt und dort Dokumentarfilme schaut, aber nie hinter die Kulissen sehen kann, nie die Urheber dessen, was dort ausgestrahlt wird, kennenlernt, nie die Hintergründe der Forschungsgegenstände kennenlernt? Die Erfahrung DOKLeipzig hilft uns dabei, uns mit Dokumentarfilm differenzierter und fundierter auseinanderzusetzen.
Linda Schyma