Walter-A.-Berendsohn-Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur
Frithjof Trapp
Ausstellung „Zwischen Schönberg und Wagner – Musikerexil 1933-1949
Mit dem Vortrag „Die Lost Generation des Musiktheaters 1939-1949“ wurde im Januar 2005 in den Räumen der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky die Ausstellung „Zwischen Schönberg und Wagner – Musikerexil 1933-1949: Das Beispiel P. Walter Jacob“ eröffnet. Die Ausstellung und der dazugehörige Katalog waren zwischen Oktober 2003 und Januar 2005 von den studentischen Mitarbeitern der Walter-A.-Berendsohn-Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur und mir in Zusammenarbeit mit der Designklasse von Herrn Kollegen Veljovic (Fachbereich Gestaltung an der Hochschule für angewandte Wissenschaften) erarbeitet worden. Zur musikalischen Umrahmung trugen Mitglieder der Staatsoper Unter den Linden Berlin Werke von Ferruccio Busoni, Richard Wagner und Franz Schreker vor. Grundlage der Ausstellung und des begleitenden Katalogs sind Briefen, Programmheften, Partituren, Fotografien und andere Materialien aus dem Bestand des P. Walter Jacob-Archivs der Forschungsstelle. – Sowohl die Städtischen Bühnen Dortmund als auch die Akademie der Künste Berlin haben ihr Interesse geäußert, die Ausstellung zu übernehmen.
Anlass der Ausstellung war der 100. Geburtstag des Opern- und Schauspieltheaterregisseurs, Dirigenten, Musikpublizisten, Schauspielers und Intendanten P. Walter Jacob. – P. Walter Jacob wurde zwischen 1923 und 1929 in Berlin an der Staatsoper Unter den Linden und parallel dazu an der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik ausgebildet. Aus dieser Zeit leitet sich seine Bekanntschaft mit führenden Persönlichkeiten des musikalischen Lebens in Berlin her: mit Leo Blech, Franz Ludwig Hörth, Georg Schünemann, Leo Kestenberg, Curt Sachs, Arnold Schönberg und Franz Schreker. Von 1929 bis 1933 arbeitete er als Regisseur bzw. Oberregisseur in Koblenz, Lübeck, Wuppertal und Essen. Ende März 1933 musste er, als Jude und Sozialdemokrat akut gefährdet, Deutschland verlassen. Er emigrierte nach Amsterdam, dann nach Paris, Luxemburg, Teplitz-Schönau. In Paris entstand neben einer Anzahl publizistischer Arbeiten Jacobs richtungsweisender Vortrag „Verbotene Musik“. Zur gleichen Zeit entwickelte er den Plan, auf der rechtlichen Basis eines Vereins ein aus exilierten Musikern bestehenden Orchesters ins Leben zu rufen. Dieses Vorhaben fand immerhin die schriftliche Unterstützung Arnold Schönbergs.
Da sich für Jacob keine Beschäftigungsmöglichkeiten im Bereich des Musiktheaters eröffneten, wandte er sich verstärkt dem Schauspieltheater (Luxemburg u. Teplitz-Schönau) zu. Ende 1938 emigrierte er nach Buenos-Aires, wo er zusammen mit seiner Frau Lieselott Reger die „Freie Deutsche Bühne“, ein aus Exilierten bestehendes Schauspielensemble, ins Leben rief. Er leitete das Theater bis 1949. – Jacob hatte in Buenos Aires enge Kontakte mit der künstlerischen Elite des dortigen Musikexils: mit Erich Kleiber, Josef Gielen, vor allem mit Fritz Busch. Der Katalog enthält große Teile des Briefwechsels zwischen Busch und Jacob. – 1950 kehrte Jacob als Intendant der Städtischen Bühnen Dortmund nach Deutschland zurück. In seiner Intendantenzeit setzte er sich insbesondere für das Werk von Komponisten ein, die während der NS-Zeit ins Exil fliehen mussten bzw. deren Werke verboten waren: für Krenek, Zemlinsky, Gurlitt, Busoni, Braunfels, Leo Blech. Der Katalog zeigt u.a. Autographen von Ernst Krenek.
P. Walter Jacob steht stellvertretend für eine Generation junger Musiktheaterkünstler, die durch den Nationalsozialismus um die Chance angemessener beruflicher Entfaltung gebracht wurden. Er inszenierte regelmäßig im Ausland, insbesondere in Frankreich, und im Rahmen von sog. „Auslandskulturtagen“ reaktivierte er die eigenen, aus dem Exil sich herleitenden musikkünstlerischen Kontakte zu den europäischen Nachbarstaaten. Als 1961 sein Vertrag von der Stadt Dortmund nicht verlängert wurde, waren Jacobs Hoffnungen auf die Fortsetzung seiner Karriere im Musiktheater gescheitert. Er wandte sich daraufhin ganz dem Schauspieltheater bzw. der schauspielerischen Arbeit im Fernsehen zu.
Im Zusammenhang der Ausstellung wurden von den Mitarbeitern der Forschungsstelle insgesamt 3 Publikationen erarbeitet:
- Frithjof Trapp: Zwischen Schönberg und Wagner – Musikerexil 1933-1949: Das Beispiel P. Walter Jacob. Berlin: Henschel Verlag 2005, 191 S.
- Andreas Löhrer in Zusammenarbeit mit Vera Balzano, Stefanie Preuß, Melissa Strumann, Miriam Schmidt, Frithjof Trapp, Henrike Walter u. Nicole Willberg (Hrsg.): Musikalische Streitschriften. P. Walter Jacobs Musikpublizistik 1933-1949 (= Schriftenreihe des P. Walter Jacob-Archivs. Bd. 11). Hamburg 2005, 415 S.
- Frithjof Trapp, Nicola Lange, Andreas Löhrer, Wiebke Mohring, Janine Mues, Bärbel Schrader u. Henrike Walter (Hrsg.): Reunion der Überlebenden. P. Walter Jacobs Korrespondenz mit Freunden und Kollegen 1939-1949 (= Schriftenreihe des P. Walter Jacob-Archivs. Bd. 12). Hamburg 2005, 211 S.
Mein Eröffnungsvortrag wurde unter dem Titel „Die ‚Lost Generation’ des Musiktheaters 1933-1949“ in der Zeitschrift „Exil“ (2004, H. 2) veröffentlicht.
Veröffentlichungen
Die Forschungsstelle veröffentlichte im Berichtszeitraum insgesamt vier Ausgaben der Institutszeitschrift „ExilOgraph“, und zwar zu folgenden Themen: „So war es in Paris! Ein Briefwechsel über die Saar-Abstimmung 1935, die Lutetia-Konferenz im Februar 1936, die Arbeit verschiedener Hilfskomitees und ihre finanzielle Ausstattung sowie die illegalen Verbindungen des Widerstands nach Deutschland“ (Nr. 12), „Reunion der Überlebenden. ‚Ich war sehr froh, Eure Post zu bekommen’: Exilerfahrungen im Spiegel persönlicher Korrespondenz der Verfolgten während und nach der Emigration“ (Nr. 13), „Schwindende Schätze. Heinrich Mann und das Argentinische Tageblatt“ (Nr. 14) und „‚Kernige Repräsentanten’: Jacob Walcher und Willy Brandt“ (Nr. 15).
Von der Berendsohn-Forschungsstelle wird die Zeitschrift „Exil“ redaktionell betreut. Sie erscheint 2006 im 26. Jahrgang. „Exil“ ist in diesem Jahr der Ben Witter Preis zuerkannt worden. Nach dem Stand der gegenwärtigen Planungen soll die Verleihung des Preises am 9. November 2006 stattfinden. In „Exil“ erscheinen regelmäßig Beiträge von Mitarbeitern der Forschungsstelle, so zuletzt von Henrike Walter: „Ein ganz normales Leben“ – Das Schicksal des politischen Emigranten Joachim Georg Lackner (2005, H. 2) u. Henrike Walter: Schreiben in Zwischen-Räumen – Wolfgang Hildesheimers Prosa im Spiegel von Migration und Akkulturation (2006, H. 1).
Momentan wird von der Forschungsstelle die Veröffentlichung der von Frau Dr. Bärbel Schrader verfassten Arbeit „‚Jederzeit widerruflich’. Die Reichskulturkammer und ihr Instrument der Sondergenehmigungen im Theater und Film des NS-Staates. 1933-1945“ vorbereitet. Es handelt sich hier um die erste umfassende Darstellung zur Handhabung der Rassengesetzgebung im Bereich der Reichstheater- und der Reichsfilmkammer während der Jahre 1933-1945. Die Darstellung entstand in Zusammenhang des DFG-Projekts „Das Institut der ‚Spielerlaubnis mit Sondergenehmigung’ und seine Funktion im Theatersystem des NS-Staats“. Die Veröffentlichung erscheint voraussichtlich im Metropol Verlag Berlin.
Auf dem Kongress der französischen Hochschulgermanisten 2003 (Metz und Saarbrücken) habe ich den Vortrag „Auswege aus traumatischen Blockaden – Zu Saul Friedländers ‚Wenn die Erinnerung kommt ...’ gehalten. Der Beitrag ist 2005 in dem von Pierre Béhar und Michel Grunewald herausgegebenen Tagungsband erschienen. Auf dem IVG-Kongress 2005 in Paris habe ich zusammen mit Anne Saint Saveur-Henn und Fawzi Boubia die Sektion 13 „Migrations-, Emigrations- und Remigrationskulturen“ geleitet. Zusammen mit den französischen Kollegen fungiere ich als Herausgeber des entsprechenden Tagungsbandes, der vermutlich Ende 2006 im Verlag Peter Lang erscheinen wird.
Bestand
Der Bestand des P. Walter Jacob-Archivs ist in den vergangenen Jahren komplett neu geordnet und verzeichnet worden. Dieses Archivverzeichnis ist jetzt zusammen mit anderen Bestandsverzeichnissen auf der Homepage der Forschungsstelle abrufbar.
Der Walter-A.-Berendsohn-Forschungsstelle wurde im vergangenen Jahr der Nachlass des Regisseurs und Schauspielers Reinhold K. Olszewski durch seine Witwe übergeben. Olszewski war der Gründer und Leiter der „Deutschen Kammerspiele“, eines deutschsprachigen, in Satiago de Chile bzw. in Buenos Aires ansässigen Tourneeensembles. Der Bestand ist inzwischen von Nicola Lange im Rahmen einer Magisterarbeit gesichtet und bearbeitet worden. Die Magisterarbeit unter dem Titel „Ein deutschsprachiges Tournee-Ensemble in Lateinamerika. Die Deutschen Kammerspiele“ ist demnächst auf der Homepage der Forschungsstelle abrufbar.
Personalausstattung
Im Bereich der Personalausstattung der Walter-A.-Berendsohn-Forschungsstelle besteht unverändert das Problem, dass die Forschungsstelle personell nicht hinreichend ausgestattet ist. Aktuell hat sich in der Zeit zwischen Herbst 2003 und Herbst 2006 durch die Vakanz im Bereich der etatmäßigen (halben) Mitarbeiterstelle ein gravierender Engpass ergeben. Zumindest zeitweilig konnte die Vakanz mit Hilfe der P. Walter Jacob-Stiftung ausgeglichen werden. Da die Aufgaben der Forschungsstelle, insbesondere im Bereich der internationalen Zusammenarbeit der Exilforschung und der redaktionellen Betreuung der Zeitschrift „Exil“ kontinuierlich anwachsen, stellt die nicht hinreichende personelle Ausstattung eine schwere Belastung dar. Sollte die Ausstattung nicht durch eine Vollstelle, wie es bis 1985 noch der Fall gewesen ist, verbessert werden, besteht die Gefahr, dass Kontakte und Kooperationen im Bereich der Exilforschung fortfallen und die Herausgeberfunktion der Zeitschrift „Exil“ auf eine andere Institution übergeht.