Forschungsverbundprogramm
Ein Zentrum für Mehrsprachigkeit und Sprachkontakte soll den beteiligten Wissenschaftler/inne/n die Möglichkeit geben, sich in interdisziplinärer, zumindest aber fächerübergreifender Weise mit den vielfältigen Problemen von Mehrsprachigkeit und Sprachkontakt, ihren gesellschaftlichen Voraussetzungen und Auswirkungen sowie ihren psychischen Aspekten auseinanderzusetzen. Dabei soll sowohl die individuelle wie auch die gesellschaftliche Entwicklung von Mehrsprachigkeit in den verschiedenen sprachlichen Dimensionen (phonologischen, morphologischen, syntaktischen, semantisch-lexikalischen und pragma-tischen) berücksichtigt werden.
Die an dem HAZEMS beteiligten Wissenschaftler/innen arbeiten unter linguistischen Zielsetzungen mit linguistischen Methoden, d.h. sie verbinden mit ihrer Forschungsarbeit die Erwartung, Aussagen zur Theorie der menschlichen Sprache zu machen. Bei Arbeiten zur Sprachtheorie, in denen die Sprachfähigkeit des kompetenten (einsprachigen) Muttersprachlers Ausgangspunkt der Untersuchung ist, wird jedoch im allgemeinen übersehen, dass Mehrsprachigkeit nicht nur außerhalb Europas ein ungemein weit verbreitetes Phänomen ist. Diese Tatsache dürfte erhebliche Implikationen für Fragen des Spracherwerbs und darüber hinaus sogar für die Definition des einzelsprachlichen Systems in sich bergen.
Neben der sprachwissenschaftlichen Grundlagenforschung haben alle Beteiligten ein lebhaftes Interesse an der Bewältigung aktueller praktischer Problemsetzungen, die in den unterschiedlichen geographischen Regionen und Sprachenkonstellationen im Rahmen gesellschaftlicher und individueller Mehrsprachigkeit bestehen. In diesem Zusammenhang soll das sprachtheoretisch unter Mehrsprachigkeitskonzepten entwickelte Forschungsinstrumentarium in relevanten empirischen Bereichen der Angewandten Sprachwissenschaften methodologisch reflektiert für die gegebenen Problemlösungen eingesetzt werden.
Das [im Herbst 1986 zugrundegelegte Forschungsprogramm des HAZEMS zielt allgemein auf die wissenschaftliche Erarbeitung und Durchdringung zentraler Themen im Bereich von Mehrsprachigkeit und Sprachkontakt ab, die sich wie folgt unter vier Forschungskomplexen zusammenfassen lassen:
1. Entwicklung individueller Mehrsprachigkeit
z. B. Mehrsprachigkeit in Kindheit und Jugend, simultaner vs. sukzessiver Bilingualismus in verschiedenen sprachlichen Kombinationen, sprachliche, intellektuelle und psychische Faktoren von Mehrsprachigkeit
2. Gesellschaftliche Mehrsprachigkeit
(a) Mikrobereich gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit: z. B. Interkulturelle Kommunikation in verschiedenen Institutionen, mit und ohne Dolmetscher
(b) Makrobereich gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit: z. B. Sprachpolitik, soziolinguistische und sprachsoziologische Untersuchungen von Minderheitensprachen
3. Sprachsystematische Aspekte der Mehrsprachigkeit
z. B. Kontrastivität, Typologie der Sprachen, grammatische Interferenzen
4. Anwendungsaspekte
z. B. Sprachstandsmessungen, Lehrmaterialienentwicklung, Corpora, Kurzgrammatiken
(Jochen Rehbein)