Beschwerden – Anamnese – Befund
Transdisziplinären Fachtagung des Netzwerks Gesundheitskommunikation
20. – 21.01.2019,
Hotel Mazza, Hamburg
Der Eintritt in Institutionen der medizinischen Versorgung lässt sich oftmals durch die Trias „Beschwerden – Anamnese – Befund“ beschreiben.
Wege zum Arzt
Die Trias beinhaltet Etappen eines Weges: Dieser reicht von der patientenseitigen Empfindung über die kommunikative Abklärung der angestellten Beobachtungen im Beschwerdenvortrag und Erhebung der Kranken- und Krankheitsgeschichte bis hin zu der jeweiligen medizinisch-therapeutischen Kategorisierung körperlicher und/ oder psychischer Befindlichkeiten. Die medizinische Relevanz dieser kommunikativ realisierten Schritte und ihrer Abfolge wird bereits früh in Studien zur Allgemeinmedizin deutlich, die zu dem Ergebnis führen, dass 70 % der Diagnosen allein auf den patientenseitigen Beschwerdenvortrag zurückgehen.[1]
Zur Relevanz sprachlicher Kommunikation
Sprache spielt also in der medizinischen Versorgung eine wichtige Rolle. Ihre Einbettung in die medizinischen und kurativen Tätigkeiten, ihre Verschränkungen mit dem patientenseitigen Alltag bedürfen nicht zuletzt angesichts der aktuellen technischen und gesellschaftlichen Entwicklung der noch weitergehenden Erforschung. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass Beschwerdenvortrag und das anamnestische Gespräch mit Hilfe sprachlicher Erzähltechniken realisiert und durch narrative Traditionen und kulturelle Überlieferungen gerahmt werden. Das körperliche Empfinden und die damit verbundenen Leiden, welche aus dem Alltag der Erfahrungen herausragen, gehen oft einher mit der Frage: „Was ist das? Was passiert, was folgt?“, sei es in selbstadressierter Form, sei es, dass man einen nahestehenden Menschen oder eine professionell agierende Person fragt. Der "Beschwerdenvortrag" kann daher als Ergebnis von verschiedenen vorgelagerten kommunikativen Erfahrungen und den damit verbundenen Genres verstanden werden, die den weiteren Verlauf durchaus begleiten und prägen können.
Im Rahmen der institutionellen Behandlung bilden die Geschichte der leidenden Person, das Wissen über ihre potentiellen Krankheiten ebenso derjenigen der Familie den Gegenstand der Anamnese, in die im Laufe eines Gespräches die Frage „was ist das“ eingeflochten wird.
Mit der Erstellung eines ersten Befundes aufgrund körperlicher sowie bedarfsmäßig laborgestützten Untersuchungen und deren Erläuterungen kommt es zu einer (sukzessiven) Beantwortung der initialen Frage, die den Auftakt für den Weg zum Arzt/zur Ärztin gab bzw. ggfs. einen längeren Gang durch die Institutionen der medizinischen Versorgung einleitet.
Tradition und aktuelle Entwicklungen
Die Trias "Beschwerden – Anamnese – Befund" stellt eine eine medizinisch-kommunikative Einheit dar, die weit in die historischen Traditionen der Behandlung kranker Menschen zurückreicht und bis heute den Alltag der gesundheitlichen Versorgung prägt. Neben ÄrztInnen und PatientInnen spielen hierbei häufig weitere Akteure wie Pflege(fach)kräfte und TherapeutInnen, nicht selten auch TranslatorInnen, SprachmittlerInnen eine entscheidende Rolle. Zunehmend wirken sich außerdem technische Entwicklungen und mediale Vielfalt aus, wodurch weitere Akteure an den Prozessen beteiligt sind und vermutlich einzelne kommunikative Stränge sich gegebenenfalls bis zu einem Eigenleben verselbständigen.
Vielfalt und Akteure
Die aus diesen Entwicklungen resultierenden kommunikativen Formate umfassen z.B. Erzählungen, Beschreibungen und Frage-Antwort-Sequenzen, partizipative Entscheidungsfindungen, ebenso Versuche von Selbstdiagnosen, die etwa auf eigenen Recherchen im Internet und Erzählungen weiterer Betroffener basieren. Insgesamt bestehen Anamnesen somit aus einer Vielzahl multimodaler, mündlicher, schriftlicher und multimedialer Kommunikationseinheiten.
Angesichts der diagnostischen, gesellschafts- und gesundheitspolitischen Relevanz moderner technischer Entwicklungen sowie der zunehmenden Komplexität im Zusammenwirken verschiedener Akteure erscheint es sinnvoll, die Anamnese zum einen als Konstante der Kommunikation in der gesundheitlichen Versorgung und zugleich in ihren aktuellen Praxis- und Realisierungsformen zu erforschen.
Veranstaltungsreihe des Netzwerks Gesundheitskommunikation
Dieser Absicht widmet sich die mehrteilige Veranstaltungsreihe des Netzwerkes Gesundheitskommunikation. Im Rahmen der ersten Veranstaltung sollen folgende Ziele verfolgt werden:
- Konkrete Einblicke in zeitgenössische bzw. neue Formen anamnestischer Kommunikation zu gewinnen und zu diskutieren
- Kommunikative Herausforderungen an der Schnittstelle zur Multimodalität näher zu bestimmen
- Voraussetzungen und Bestandteile von Health-Literacies für Bildungsinstitutionen und Informationsprovider zu identifizieren
- Erfahrungen und Überlegungen mit Blick auf Aus- und Weiterbildung nutzbar zu machen
- Inter- und transdisziplinären Austausch auch mit Blick auf Folgeveranstaltungen zu initiieren
[1] So etwa in Stefan Ahrens (1979) Interaktionsmuster der ambulanten Arzt-Patienten-Beziehung in der Allgemeinarztpraxis. In Johannes Siegrist & Anneliese Hendel-Kramer (Hgg.) Wege zum Arzt. München: Urban & Schwarzenberg, 83-112