Aktuelle Promotionsprojekte
Babette Bernhardt: Die chinesische Literatur in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)
Die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der Volksrepublik China begannen im Jahr 1949 und waren geprägt von weitgehender ideologischer Übereinstimmung, politischer Sympathie und Solidarität. Ein wesentlicher Bestandteil der kulturellen Beziehungen war der Austausch von Literatur, als eine der wichtigsten Vermittlungsinstanzen der chinesischen Kultur in Ostdeutschland - ein bisher weitgehend unbeachteter Aspekt der bilateralen Zusammenarbeit. Vor dem Hintergrund, dass literarische Übersetzungen immer das Ergebnis politisch-ökonomischer und soziokultureller Prozesse sind, folgt die Erforschung der chinesischen Belletristik in der DDR einem transdisziplinären Ansatz. Im Mittelpunkt des Dissertationsprojekts steht die Analyse der historischen Rahmenbedingungen und ihrem Einfluss auf die Publikations- und Übersetzungsprozesse. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf den ÜbersetzerInnen aus dem Chinesischen, über deren Leben und Wirken bis heute nur wenig bekannt ist. So ist es das Ziel, einen umfassenden Überblick über die Geschichte der chinesischen Literatur in der DDR zu geben. Diese Zusammenschau soll nicht nur zu einem erweiterten Verständnis der Beziehungen zwischen der DDR und der VR China beitragen, sondern auch die Rolle von Literatur und Translation in sozio-politischen Kontexten im Allgemeinen und in den ostdeutsch-chinesischen Beziehungen im Speziellen in den Fokus der Betrachtungen rücken. Zudem sollen Aspekte der Translationspolitik- und kultur anhand der Chinesisch-ÜbersetzerInnen beispielhaft untersucht werden, um das noch unvollständige Bild der LiteraturübersetzerInnen im politischen und kulturellen System der DDR zu ergänzen.
- Betreuer: Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer
- Zuordnung/Förderung: Seit 2017 Stipendiatin im Doktorandenkolleg China in Europe, Europe in China: Past and Present, Graduiertenschule Geisteswissenschaften
- E-Mail: babette.bernhardt"AT"studium.uni-hamburg.de
Yalda Choopankareh: Kontroverse Fernsehdiskussionen: Kommunikativen Praktiken im Deutschen und Persischen
In dem Promotionsvorhaben sollen kontroverse Fernsehdiskussionen hinsichtlich ihrer typischen kommunikativen Praktiken in den Sprachen Deutsch und Persisch vergleichend untersucht werden.
- Betreuung: Frau Prof. Dr. Kristin Bührig
- Zuordnung/Förderung: Promotionsstipendium der Leistungsstipendien für internationale Studierende der Universität Hamburg
- E-Mail: yalda.Choopankareh"AT"studium.uni-hamburg.de
Ann-Katrin Darsow: Der Gebrauch sprachlicher Mittel des Vergleichens von Kindern nicht-deutscher Herkunftssprache in der Primarstufe
- Betreuung: Prof. Dr. Angelika Redder
Rebecka Dürr: Stimme und Rhythmus: Live-Lyrik zwischen sprechkünstlerischer Gestaltung und Ereignis
Trotz zum Teil ähnlicher Eigenschaften wie Dynamik, Rhythmik und Metrik wird zumeist ‚Musik gehört‘ und ‚Lyrik gelesen‘. Jedoch besitzt das bloße Vorlesen und darauf aufbauend auch das künstlerisch artikulierte Wort eine klangliche Dimension. Seit der Jahrtausendwende wird der literarische Formenkanon zunehmend durch mündliche Darbietungen von Lyrik erweitert, die live präsentiert und darauffolgend u.a. digital distribuiert werden. Damit rückt die akustisch-performative Dimension ins Zentrum eines bisher vornehmlich schriftlich betrachteten Genres. Um der Vielfältigkeit der mündlichen Darbietungsformen lyrischer Texte gerecht zu werden, berücksichtigt das Dissertationsvorhaben sowohl die klassische Lyriklesung als auch etwas weniger formale Spoken-Word-Formate sowie die musikalische Umsetzung von Lyrik in Form von Rap-Darbietungen. Diese Formen stehen aufgrund der unterschiedlichen Ausprägung stimmlich-performativer Extravaganz in einer graduellen Beziehung zueinander.
Mit wenigen Ausnahmen gilt für fast alle mündlichen Darbietungsformen von Lyrik: Es sind zumeist die Autor:innen und Künstler:innen selbst, welche ihre Arbeiten stimmlich-sprecherisch, rhythmisch sowie performativ gestalten und darbieten. Daraus ergeben sich grundlegende Fragen nach der Erzeugung eines Authentizitätsversprechens, welches gegenüber dem Publikum eingehalten werden soll. Hierfür dienen unterschiedliche Strategien, welche sich auf verschiedenen Ebenen (Verhalten, Bühnenbild, Vermarktung etc.) identifizieren lassen. Lyriklesungen, Spoken-Word-Formate und Rap-Darbietungen weisen individuelle, wiederkehrende Abläufe, Regelwerke sowie Moderationen auf und ihnen liegt eine spezifische Räumlichkeit, Zeitlichkeit sowie ein performativer Ablauf zugrunde. Inwiefern dieser Ritualcharakter bzw. die Rahmung ebenfalls einen Einfluss auf die Authentizität der Autor:innen und Künstler:innen nehmen, ist ein weiterer Untersuchungsaspekt der Dissertation.
Im Fokus des interdisziplinär angelegten Projekts stehen die Teilbereiche Stimme, Rhythmus und Performance, welche sich im Hinblick auf die mündliche Präsentation lyrischer Texte in einem Spannungsfeld zwischen sprechkünstlerischer Gestaltung (einstudiert) und Ereignis (vermeintlich spontan) bewegen. Damit einhergehend werden Rahmungsaspekte, Inszenierungsstrategien und mögliche Authentizitätseffekte betrachtet, um sowohl grundlegende Aussagen über die Gestaltung der mündlichen Präsentation von Lyrik zu ermöglichen als auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Aufbau (des Auftritts und der mündlichen Umsetzung) der Darbietungsformen aufzuzeigen.
Folglich ist das Ziel dieses Dissertationsvorhabens die Zusammenführung von Methoden und Theorien aus den Bereichen der Literatur, Medien-, Musik-, Sprech- und Theaterwissenschaft, um zum einen die sprechkünstlerische Analyse von Lyrik zu etablieren und zum anderen den sprechwissenschaftlichen Diskurs zur mündlichen Präsentation von Lyrik zu erweitern.
- Betreuung: Prof. Dr. Claudia Benthien
- Zuordnung: Ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin im ERC-Projekt "Poetry in the Digital Age"
- E-Mail: rebecka.duerr"AT"uni-hamburg.de
Heba Emam (Kairo): Exzerpieren als Wissensverarbeitung von wissenschaftlichen Texten in der deutschen und ägyptischen Universität
Betreuung: Prof. Dr. Angelika Redder
Anna Sophie Felser: Leopold Jessners Hamburger Theatermaterialien am Anfang des 20. Jahrhunderts (AT)
Leopold Jessner, in Berlin der 1920er als „Intendant der Republik“ bekannt, gilt als einer der Vorläufer des modernen Regietheaters. Sein abstrakter Bühnenraum und sein radikaler Eingriff in den Text zugunsten einer Inszenierungsidee prägen das Theater bis heute.
Von 1904 bis 1915 führte Jessner am Lustspielhaus Thalia Theater in Hamburg die Dramen der Theatermoderne ebenso ein wie längere Probenzeiten. Auch dank seiner späteren Selbststilisierungen ist bisher übersehen, dass er in diesem Rahmen außerdem zahlreiche populäre Lustspiele inszenierte. Die entsprechenden Materialien gilt es erstmals zu identifizieren, um daran die facettenreiche Spannbreite von Jessners Hamburger Schaffen von protorealistischen Darstellungen bis hin zu Vorformen seiner späteren Berliner Ästhetik vorzuführen. Statt es als künstlerischen Entwurf zu glorifizieren fasst das Vorhaben das Regiebuch als funktionalen Gebrauchsgegenstand im Theateralltag, der mit anderen Schriftartefakten (Inspizierbuch, Rollenbuch, etc.) vernetzt ist. Das Projekt rekonstruiert einerseits die handschriftlichen Praktiken, das Verhältnis von Handschrift, Skizze und Druck, sowie die dabei entstehenden materiellen Dynamiken. Andererseits geht es um die Erstellung eines Überblicks der Entwicklung von Jessners Ästhetik in seiner Hamburger Zeit und die Rolle des Textes in dieser.
- Betreuung: Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer und Prof. Dr. Cornelia Zumbusch
- Zuordnung: Wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer am DFG-Exzellenzcluster "Understanding Written Artefacts"
- E-Mail: anna.sophie.felser"AT"uni-hamburg.de
Jiayin Feng: Argumentation in der Lernersprache: eine korpusbasierte Untersuchung von argumentativen Texten chinesischer Deutschlernender
Kausalität bezeichnet die Relation zwischen zwei Ereignissen oder Sachverhalten, die in Abhängigkeit von einander als Ursache und Wirkung interpretiert werden. Sie ist eine der fundamentalen Kategorien der Argumentationsstruktur und trägt zur Diskurskohärenz bei. Kausalität ist für viele Textsorten relevant. Dementsprechend spielt sie eine bedeutende Rolle im Fremdsprachenunterricht.
Kausalität wird als kognitive Universalie betrachtet, die jedoch einzelsprachlich unterschiedlich realisiert wird. Das vorliegende Dissertationsprojekt untersucht kausale Strukturen in Texten von chinesischen Deutschlernenden (L2-Texte) und von chinesischen und deutschen Muttersprachlern (L1-Texte). Es stehen dabei zwei Thesen im Mittelpunkt, die sich in einer Vorstudie bestätigt haben: (i) L2-Texte drücken Kausalität in anderer Form aus als L1-Texte; (ii) Der Ausdruck von Kausalität in den L2-Texten lässt sich (teilweise) durch Transfereffekte aus dem Chinesischen erklären. Ziel ist es, die Interlingua kausaler Relationen von Deutschlernenden mit L1 Chinesisch in der Argumentationsstruktur systematisch zu beschreiben und in Hinblick auf Transfereffekte zu analysieren. Die linguistischen Ergebnisse können als Input für die Fremdsprachendidaktik einen Beitrag zur Verbesserung des interkulturellen Verstehens leisten.
Empirische Grundlage der Untersuchung sind Erörterungen, d.h. argumentative Texte, aus dem Lernerkorpus Kobalt (Korpusbasierte Analyse von Lernertexten für Deutsch als Fremdsprache) bzw. Texte, die analog erhoben wurden. Die Korpusanalyse beruht auf dem Ansatz der Penn Discourse Treebank und vergleicht die linguistische Ausprägung kausaler Relationen in L2- und L1-Texten.
- Betreuung: Prof. Dr. Heike Zinsmeister
- E-Mail: Jiayin.Feng"AT"studium.uni-hamburg.de
Reza Kai Ghamsari: Aporetisches Erzählen als narrative Technik in Prosatexten Franz Kafkas
Das Erzählwerk Franz Kafkas lädt aufgrund seiner Verschränkung luzider Sprachkonstruktion und enigmatischer Sinn(de)konstruktion zu divergierenden Deutungsansätzen ein. Die auf die rätselhaften Topoi und semantischen Leerstellen methodisch facettenreich reagierende Kafka-Exegese erscheint deshalb mitunter ähnlich opak wie der literarische Text, dem sie sich widmet. Kernthese meines Dissertationsvorhabens ist, dass die Quelle der textuellen Polyvalenz und der daraus resultierenden, nahezu beliebig wirkenden Herangehensweisen der Kafka-Philologie in bestimmten rezeptionserschwerenden Erzählstrategien zu suchen ist. Im Rahmen dieser Studie werden diese Strategien unter dem Neologismus aporetisches Erzählen subsumiert. Unter diesem Begriff fasse ich drei Erzählweisen, die das Erzählte in unterschiedlichem Grade als eine in Bezug auf ihren Wahrheitsgehalt problematische Aussage erscheinen lassen:
- eine antinomische Variante, die in Form logisch widersprüchlicher Aussagen realisiert ist;
- eine dialektische Variante, die durch kommentarlose, nicht-identische Beschreibungen des gleichen Sachverhalts gekennzeichnet ist;
- eine relativierende Erzählstrategie, die Aussagen zueinander in Beziehung setzt und dadurch deren individuelle Geltung in Frage stellt.
Auf Grundlage einer systematisch-narratologischen Herangehensweise sollen an ausgewählten Texten des Prager Schriftstellers diese drei Erzählstrategien zunächst identifiziert werden, um sie im Anschluss als mögliche Ausprägungen narrativer Unzuverlässigkeit zu diskutieren. Unter Bezugnahme auf die Analyseergebnisse soll außerdem die theoretische Problematik der Unzuverlässigkeit in heterodiegetischen Erzählsituationen geklärt werden.
- Betreuung: Prof. Dr. Jan Christoph Meister
Nathalie Giele: Inszenierte Weltanschauung? Zur theologischen Relevanz des Gegenwartstheaters
Theater und Theologie hätten sich viel zu sagen, denn beide bieten (auf je eigene Weise) eine Auseinandersetzung mit Fragen nach Sinn und der Bewältigung von Kontingenz an, indem sie „Welt“ zur „Anschauung“ bringen. Beide arbeiten mit Transformationen und haben den Anspruch, „zeitgenössisch“ zu sein. Statt aber in den Dialog zu treten, stehen Theater und Theologie sich zumeist wie zwei Fremde schweigend gegenüber. Zentrales Grundanliegen des Dissertationsprojektes ist es daher – in Anlehnung an die theologische Auseinandersetzung mit anderen Kunstformen –, Theaterforschung und Theologie reziprok-dialogisch zusammenzuführen, so dass der beidseitige Gewinn einer Annäherung der beiden Größen ersichtlich wird.
Dies soll exemplarisch geschehen anhand des gesellschaftlich aktuellen Diskurses um Alterität. Alterität ist hier zu verstehen als Begegnung mit dem (ganz) Anderen, die „die Verknüpfung von Fremdheit und Eigenheit als Prozess und Erfahrung in eins fasst.“ Zum einen wurde Alterität als Fokus deshalb gewählt, weil sich Theater wie Theologie, wenn sie sich als zeitgenössisch verstehen, ohnehin dazu verhalten (müssen). Zum anderen kann Alterität aber auch das Verhältnis von Theater und Theologie beschreiben: trotz vieler Schnittmengen im Laufe der Geschichte haben sich die beiden Größen von einander entfremdet, könnten sich aber im Dialog heute – so die methodische Hypothese dieser Arbeit – als herausforderndes Anderes begegnen, das zur Weitung, Dynamisierung und Transformation der eigenen Perspektive befähigt. Das Thema Alterität leitet auch die Auswahl der zur Analyse ausgewählten Theaterproduktionen. Die in den Inszenierungen zutage tretenden Konzepte von Selbst- und Weltverhältnis, die auf der Bühne verhandelt werden, sowie die Art der Aushandlungen sollen eruiert und mit einer theologischen Anthropologie in ein Gespräch auf Augenhöhe gebracht werden: Wo werden christliche Menschenbilder und Weltanschauungen im Hinblick auf den Umgang mit Fremdheit und Andersheit anfragbar durch Gehalt und Form des theatral verhandelten Diskurses? Was hat die Theologie aber auch zu erwidern und wo könnte sie das Theaterschaffen durch ihren jeweiligen Ansatz der Diskursivierung bereichern?
Betreuung: Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer und Prof. Dr. Christine Büchner
Zuordnung/Förderung: Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Promotionsstipendium des Cusanuswerks
Email: nathalie.giele"AT"studium.uni-hamburg.de
Lenah Grimm: Mittelhochdeutsche Zaubersprüche – eine editionsbasierte Klassifizierung
‚Zaubersprüche‘ gehören zu den ältesten und verbreitetsten Zeugnissen menschlicher Kultur. Sie spiegeln die Wünsche, Ängste und Hoffnungen wider, die alle Menschen in ihren Grundbedürfnissen nach Gesundheit, Liebe und Sicherheit, aber auch in ihrem Verlangen nach gegenseitiger Kontrolle, Macht und Rache unabhängig von geographischen Räumen, kultureller oder zeitlicher Zugehörigkeit teilen. Als anthropologische Konstanten bilden Zaubersprüche ein sprachliches Medium ab, das nicht nur auf die deskriptive Darstellung einer vergangenen Lebenswelt hindeutet, sondern tatsächlich dazu ausgelegt war oder ist, die Lebenswelt eines Einzelnen mithilfe verschiedenster sprachlicher und nicht-sprachlicher Strategien zu verändern. Strategien und Intentionen, die wir bis heute versuchen können nachzuvollziehen.
Es ist mir ein Anliegen, diese magischen Texte und in ihnen die Zeichen gedachter und gelebter Wirklichkeitskonzepte für die germanistische Forschung zu sichern und in ihrer besonderen Beschaffenheit und textuellen Konstruktion zu ergründen. Daher plane ich im Rahmen meines Dissertationsprojekts eine übersichtlich strukturierte, methodisch nachvollziehbare und für Forschung und Lehre arbeitsfähige Sammeledition mittelalterlicher Zaubersprüche, die darüber hinaus versuchen will, grundlegende und essenzielle Bestandteile dieser besonderen Textgattung zu klären und der germanistischen Mediävistik ein Fenster zu all ihren noch zu entdeckenden Facetten zu öffnen.
- Betreuung: Prof. Dr. Martin Baisch
- Zuordnung: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik
- E-Mail: lenah.grimm"AT"uni-hamburg.de
Mirjam Groll: Fiktionen des Selbst im Theater des 21. Jahrhunderts
Nicht nur die Literatur, sondern auch das Theater ist vermehrt Ort für autobiographische Bezüge suggerierende Selbstdarstellungen. Der in diesem Zusammenhang in der Forschung aufgekommene Begriff der „Autofiktion“ ist im Bereich der Gegenwartsliteratur bereits umfassend erforscht. Eine systematische Untersuchung von Fiktionen des Selbst im zeitgenössischen Theater steht allerdings noch aus.
Zunächst erscheint die Frage nach dem ,Selbst‘ auf der Bühne paradox. Zwar ist die Vierte Wand längst eingerissen und das ungebrochene Eins-Werden von Schauspieler*in und gespielter Figur zumeist nicht mehr der Maßstab für die Bewertung des Bühnengeschehens, doch wie soll dem grundlegenden Täuschungsvertrag des Theaters entkommen werden, ohne dabei das Theater selbst überflüssig zu machen? Was bedeutet es für das Theater als Ort des Scheins und des Sich-Verstellens, wenn es immer häufiger zum Ort von Selbstinszenierung und -positionierung wird? In meinem Dissertationsprojekt möchte ich untersuchen, welche Konzepte der Auto(r)fiktion das zeitgenössische Theater auszeichnen und wie dabei das ‚Selbst‘ auf der Bühne gerahmt wird. Da sich das Theater in den meisten seiner Formen durch Dialogizität und Vielsprachigkeit auszeichnet, ist die Frage danach, wer ‚Ich‘ sagt und wie das ‚Selbst‘ sich positioniert immer an kollektive Darstellungsformen zwischen Fremd- und Eigendarstellung geknüpft. Oft fallen Autor*in und Schauspieler*in eines Bühnentextes nicht zusammen. Gleichzeitig sind Schauspieler*innen, die sich selbst spielen, plötzlich nicht mehr austauschbar. Was sind auf der Theaterbühne Kriterien einer gelungenen Selbstpositionierung, und von welcher Position aus werden sie festgelegt? Welche theatralen Mittel dienen dabei der Rahmung des ,Selbst‘? Neben einer Analyse der einschlägigen theater- und schauspieltheoretischen Auseinandersetzungen mit der Frage nach der Abgrenzung von Rolle, Figur und Selbst im Prozess des Schauspielens sowie einer theoretischen Verortung der für das Theater anschlussfähigen Konzeptionen des Selbst-Begriffs, sollen exemplarisch ausgewählte Inszenierungen der Regisseure René Pollesch und Milo Rau, des Performance Kollektivs She She Pop, der Gruppe Rimini Protokoll und des internationalen Theaterkollektivs Gintersdorfer/Klaßen auf ihre jeweiligen und sehr unterschiedlichen Fiktionen des ‚Selbst‘ auf der Theaterbühne befragt werden. Die hier verhandelten Selbst-Entwürfe sollen für die Arbeit den Ausgangspunkt einer Analyse und Einordnung der vielfältigen Erscheinungsformen von Auto(r)fiktionen im Theater des 21. Jahrhunderts darstellen.
- Betreuung: Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer und Prof. Dr. Cornelia Zumbusch
- Zuordnung: Wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer
- E-Mail: mirjam.groll"AT"uni-hamburg.de
Marco Heiles: Die deutschsprachigen Losbücher des 15. Jahrhunderts und ihre Handschriften
- Betreuung: Prof. Dr. Bernhard Jahn, Prof. Dr. Karina Kellermann (Uni Bonn)
- Zuordnung/Förderung: Graduiertenkolleg Manuskriptkulturen des SFB 950
- E-Mail: heiles"AT"uni-bonn.de
Kira Henkel: Intimität von Lyrik und Musik in zeitgenössischen Kompositionen – nach dem Kunstlied
Zeitgenössische Lyrik und Neue Musik stehen im digitalen Zeitalter in einer engen Beziehung. Die Bandbreite von Kompositionen, die lyrischen Text und Musik miteinander verknüpfen, zeigen dabei unterschiedliche Zugangsweisen zur Verbindung von Wort und Ton auf, die bis dato nahezu unerforscht sind. Das interdisziplinäre Promotionsvorhaben möchte eben jene Forschungsfragen nach dem Zusammentreffen von Lyrik und Musik in der Gegenwart erstmals aufgreifen und wissenschaftlich fassen. Über musik-, literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven werden dazu die Interaktionsbewegungen zwischen Lyrik und Musik in aktuellen Vokalmusikkompositionen untersucht. Die These, dass zeitgenössische Lyrik und Neue Musik in ihrem Aufeinandertreffen ‚intime Zwischenräume‘ hervorbringen können, bildet den Ausgangspunkt für das Nachdenken über ihre kontemporären Begegnungsmöglichkeiten mit- und zueinander.
Durch das Aufgreifen und Weiterdenken von Forschungsansätzen zum Verhältnis von Wort und Ton in der Gattung des Kunstlieds wird eine erste theoretische Rahmenbildung entwickelt. In dieser kleinen Vokalmusikform ergeben sich durch die reduzierte Instrumentierung Stimme plus instrumentale Begleitung Spannungsverhältnisse, welche sich innerhalb der Wort-Ton-Struktur aufbauen und einen vielversprechenden Ansatz für die Erforschung von Fragen nach Momenten des intimen Zusammentreffens beider Künste in der Gegenwart ausbilden.
Mit der Einführung des Begriffs der Intimität wird eine aktualisierte Sichtweise auf gegenwärtige Beziehungsformen von Lyrik und Musik in zeitgenössischen Kompositionen vorgestellt und die in den Spannungsverhältnissen liegenden dialektischen Bewegungen zwischen Nähe und Ferne beider Künste multiperspektivisch erfasst. Intimität wird dafür vorerst mit zwei Bedeutungshorizonten belegt: einerseits in Verweis auf die etymologische Herleitung aus dem lat. Superlativ intimus (innerste, tiefste, vertrauteste) und den daran anknüpfenden philosophischen Reflexionen (Julia Kristeva, Josep Maria Esquirol). Andererseits in Abgleich mit verschiedenen Intimitätskonzepten seit 1900, wie etwa dem einer ‚intimen Ästhetik' (Marianne Streisand).
Das Forschungsziel begründet sich in dem Anliegen, das Aufeinandertreffen zwischen Lyrik und Musik im 21. Jahrhundert zu beschreiben und hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Erscheinungsformen im Feld der Neuen Musik vorzustellen und zu reflektieren. Ein besonderer Fokus wird auf der Erforschung der Relation zwischen Struktur und Inhalt des Textes und der musikalischen Komposition liegen – welche sich auf folgenden Ebenen erkennen lassen können: 1. textimmanente Spannungsverhältnisse, 2. musikimmanente Spannungsverhältnisse 3. Spannungsverhältnisse, welche sich aus dem Aufeinandertreffen von 1. und 2. ergeben – und Räume der Intimität entstehen lassen.
Gegenwärtig basiert das zu untersuchende Korpus auf zehn Kompositionen, die sich in Einzelwerke und Projektreihen gliedern. Diese Aufteilung ergibt sich aus der Tatsache, dass im Verlauf der letzten Jahre eine Reihe von Liedprojekten konzipiert worden sind, die aufgrund ihrer komplexen Anlage vielversprechende Analyseflächen bilden. In den Blick genommen werden Arbeiten von zeitgenössischen Komponist:innen, die (vorrangig deutschsprachige) Gegenwartslyrik für ihre Werke gewählt haben, darunter zum Beispiel anagramm von Isabel Mundry nach dem gleichnamigen Gedicht von Unica Zürn, Sich einstellender Sinn von Eres Holz nach einem Gedicht von Asmus Trautsch und wiedergutmachungsjude von Hector Docx nach einem Gedicht von Daniel Gerzenberg. Weiterhin werden Projektreihen, wie zum Beispiel Lieder für das Jetzt (2022) von Max Czollek und Daniel Gerzenberg untersucht oder das im Rahmen der Cresc… Biennale für aktuelle Musik stattgefundene Give us a poem (2023). In beiden Projektreihen wurden von jungen Künstler:innen Konzertabende auf Grundlage von Gedichten und anderen literarischen Texten entwickelt.
- Betreuung: Prof. Dr. Claudia Benthien
- Zuordnung: ERC-Projekt "Poetry in the Digital Age"
- E-Mail: kira.henkel"AT"uni-hamburg.de
Anna Hofman: Visualizing Contemporary Jewish Identity: Watching Poetry and Reading Poetry Films
Aufbauend auf bestehender Forschung zu jüdischer Autorschaft der dritten Generation erweitert diese Dissertation die literaturwissenschaftliche Erinnerungsforschung, indem sie visuelle Ausdrucksformen der Selbstpositionierung in jüdischen Gedichten und Poesiefilmen analysiert. Untersucht wird dabei, wie Lyriker:innen wie Hanna Rajs, Gabriel Itkes-Sznap, Yevgeniy Breyger und Max Czollek ebenso wie Filmemacher:innen wie Katia Lom, Yulia Ruditskaya, Evgenia Gostrer und Daniella Schnitzer den Raum sowie die räumliche Situiertheit des lyrischen Subjekts in verschiedenen Sprachen und kulturellen Kontexten (motivisch) visualisieren.
Das Projekt ist an der Schnittstelle der literaturwissenschaftlichen Erinnerungsforschung und den Visual Culture Studies bzw. Bildwissenschaften (unter Einbezug von filmwissenschaftlichen Ansätzen) verortet. Es widmet sich der Analyse von widerkehrenden visuellen oder visualisierten Motiven, die sich auf drei Ebenen auf den Raum beziehen: auf die private Sphäre (z.B. ‚das Haus‘/‚Zuhause‘), die öffentliche Sphäre (u.a. Gesellschaft, Natur, soziale Medien), und einen dritten Raum, der sich zwischen dem Privaten und Öffentlichen befindet (hier werden besonders ‚Glaubensräume‘ wie z.B. Synagogen berücksichtigt).
Methodisch werden die Gedichte und Poesiefilme durch close readings und/oder ‚close watchings‘ analysiert, wobei die sprachlich oder bildlich ausgedrückte Symbolik untersucht wird. Zwar liegt das Hauptaugenmerk auf der thematischen Ebene von Gedichten und Poesiefilmen, aber durch die Motivstudie werden auch die vielfältigen formalen Ebenen von Lyrik und Poesiefilmen aufgezeigt und dabei ein besonderes Augenmerk auf das Zusammenspiel von Bild und Wort gelegt: Wie verbinden sich oder kollidieren images (Bilder im metaphorischen Sinne) mit Wörtern, und im Falle des Poesiefilms auch pictures (Bilder als tatsächliche visuelle Elemente, etwa des Bewegtbildes)?
Eine der zentralen Fragen des Projekts ist, inwiefern jüdische Kulturproduktion als eine Form und Praxis der Desintegration oder des Widerstands zeitgenössischer Lyriker:innen und Filmemacher:innen gegen Stereotypisierung und Antisemitismus verstanden werden kann, indem sie jüdische lyrische Perspektiven in den Mittelpunkt stellen: ihre Verhandlungen von Grenzüberschreitungen verschiedener Art, der Identität, der nationalen und sprachlichen Zugehörigkeit, aber auch des Verhältnisses zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Auswahlkriterien für die lyrischen Werke sind, dass die Autor:innen der jüdischen dritten Generation angehören und in Europa geboren wurden oder arbeiten. Die Studie zielt darauf ab, räumliche Motive zu erforschen, die sich nicht nur explizit auf die Shoah oder ihre Erinnerung beziehen. Vielmehr wird die Beziehung zwischen Visualisierungen des ‚Raumes‘ und materiellen Objekten innerhalb dieser Räume sowie deren Bedeutung für die Konstruktion und Verortung des ‚Selbst‘ erforscht. Dabei werden zudem Themen wie familiäre Erinnerung, Zugehörigkeit und Entfremdung zwischen den Generationen, Exil und Heimkehr sowie das Erzählte und Unausgesprochene einbezogen.
Zuletzt ist zu betonen, dass sich die Dissertation zwar mit Darstellungen und lyrischen Konstruktionen jüdischer Lyriker:innen und Filmemacher:innen beschäftigt, hierbei allerdings nicht den Anspruch erhebt, das ‚Jüdische‘ an sich oder dessen Bedeutung für einzelne Lyriker:innen und Filmemacher:innen zu definieren. Im Zentrum stehen vielmehr transkulturelle Perspektiven auf und Beziehungen zu Identität und Vergegenwärtigungen bzw. Verortung im Raum (sowie Interaktion mit den darin befindlichen Objekten), die als ‚Portale‘ der Erinnerung fungieren, durch die sich die lyrischen Subjekte imaginativ bewegen.
- Betreuung: Prof. Dr. Claudia Benthien
- Zuordnung: ERC-Projekt "Poetry in the Digital Age"
- E-Mail: anna.hofman"AT"uni-hamburg.de
Paul Hohn: Mediumismus und Literatur im frühen 20. Jahrhundert
Im frühen 20. Jahrhundert waren die umstrittenen Modepraktiken von Spiritismus, Parapsychologie und Theosophie auch bei Literaten wie Rainer M. Rilke, Thomas Mann, Alfred Döblin oder Franz Kafka populär (Pytlik 2006). Die Frage nach immanenten Zusammenhängen zwischen formalen Innovationen moderner Ästhetik und dem Spiritismus hat zwar literaturwissenschaftliche Forschung angeregt (Braungart 1998), jedoch fielen deren Ergebnisse weitestgehend negativ aus (Baßler 2002). Reden von Gespenstern, Schwingungen oder Aura werden als bloße Metaphern interpretiert (Wagner-Egelhaaf u.a. 2005) oder auf technische Effekte reduziert (Kittler 1985, 1986; Stockhammer 2000; Kammer 2008). Für das Schreiben der Modernen werden mediumistische Praktiken meist als folgenlos eingestuft (Zanetti 2005; Morgenroth 2022) und „Schreibszenen“ (Campe 1991) von Séancen sind bislang kaum in die Forschung zum kollektiven Schreiben eingegrenzt (Traupmann, Ehrmann 2022).
Hieran erweist sich ein Methodenproblem, das von der Präferenz für modernistische Lektüreverfahren und deren theoretischen Voreinstellungen abhängt. Literaturwissenschaftliche Lektüren tragen durch ihre Konzentration auf einen „immanent festzustellenden ästhetischen Mehrwert“ dazu bei, Literatur wie Rilkes Elegien (1923), Walter Benjamins Drogenprotokolle (1927-1934) oder Kafkas Tagebuchaufzeichnungen (1909-1923) von ihren mediumistischen Heteronomien zu bereinigen (Ghanbari, Hahn 2013; Albers u.a. 2022). Und sie neutralisieren religiöse und politische Einsätze der Referenzen auf mediumistische Praktiken und Anschauungen, wenn sie ihre Selbstverpflichtung auf die „Vorstellung einer wissenschaftlichen Moderne“ auf die literarischen Texte projizieren (Pornschlegel 2017).
Diese Dissertation setzt stattdessen beim medienanthropologischen Begriff des „Mediumismus“ an und richtet einen ethnografischen Blick auf die moderne Tradition (Schüttpelz 2012). Sie versucht zu zeigen, dass Kafka, Rilke, Mann, Benjamin, aber auch Hugo Ball, Emmy Hennings, Walter Mehring, Carl Einstein, André Breton, Wassily Kandinsky oder Hilma Af Klint sich auf Totengeister, das Unbewusste, höhere Wahrnehmungs- und Wissensfähigkeiten beriefen, um eine widersprüchliche und vielstimmige Kritik an szientistischen und ästhetizistischen Vorstellungen der bürgerlichen Moderne, an ihrer Medizin, Kirchenreligion, Wirtschaftsweise und patriarchalen Ordnung zu äußern (Braude 1989; Linse 1983, 1986, 1996).
Viele Kunst- und Literaturschaffende nahmen die Kommunikationsziele mediumistischer Interaktion wie Trost, Heilung, Kollektivität, Ekstase, Beratung und höheres Wissen ernst, und sie stellten Experimente an, um diese in eigener Praxis herbeizuführen. Ausgehend von diesem irritierenden Befund werden Konzepte der Akteur-Netzwerk-Theorie (Latour 2005), der Ethnomethodologie (Garfinkel 1967) und der Interaktionslinguistik (Imo 2013; Hausendorf 2015) herangezogen, um mediumistische und literarische Darstellungspraktiken symmetrisch zu beschreiben (Bloor 1976).
Textanalytisch stehen mediumistische Verwendungsweisen von Techniken der Apostrophe, des Soliloquiums und des Dialogs im Fokus. Ihr Gebrauch in den Séancen und der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts lädt dazu ein, die Thesen von den Funktionsverlusten der Geisteranrufung (Schlaffer 2012) und des meditativen Selbstgesprächs (Butzer 2008) in der gesellschaftstheoretischen Moderne zu differenzieren. Wiederkehrende Bekundungen des mediumistischen Begehrens einer postautonomen Literaturwissenschaft (Greenblatt 1993; Grésillon 1998; Weigel 2002; Zymner 2019) gebieten dabei eine Reflexion auch der grundlegenden geisteswissenschaftlichen Praxis, in fremdem Namen zu sich selbst zu sprechen (Weimar 1994), der eigenen Haltung zum Lesen.
- Betreuung: Prof. Dr. Marcus Twellmann u. Prof. Dr. Doerte Bischoff
- Zuordnung: Doktorandenkolleg Geisteswissenschaften
- E-Mail: paul.hohn"AT"uni-hamburg.de
Samuel Karp: Die Interkonfessionalität deutscher Stadtbeschreibungen in Apodemiken und Reiseberichten des 17. Jahrhunderts
Kein Reisebericht einer peregrinatio academica oder Grand Tour kommt im 17. Jahrhundert ohne eine ausgiebige Stadtbeschreibung aus. Reisebeschreibungen greifen dabei auf Apodemiken zurück, denen Anleitungen zum richtigen Reisen entnommen werden, wenn es gilt, sich in einer fremden Stadt angemessenen zu verhalten. Besonders angesichts einer fremdkonfessionellen Stadtgemeinde sind Anweisungen, inwiefern an Bräuchen der in der Stadt dominierenden Konfession partizipiert werden darf, unerlässlich und finden immer wieder Eingang in Stadtbeschreibungen. Sie fordern den Reisenden auf, sich in der Fremde von anderskonfessionellen Bräuchen zu distanzieren oder in einen interkonfessionellen Dialog zu treten und aktiv am religiösen Leben der Bürger teilzunehmen. Die Interkonfessionalität auf Reisen verhandeln Apodemiken und Reiseberichte mittels Stadtbeschreibungen und rekurrieren auf zeittypische Maximen der (Inter)Konfessionalisierung, Sozialdisziplinierung und Frömmigkeitsbewegung. So dokumentieren einzelne Beschreibungen einer Stadt sowohl ihre zeitgenössische Rezeption als auch die dort vorherrschenden humanistischen Konzepte, orthodoxen oder irenischen Lehren und frommen, mystischen Denkweisen und werten sie in Hinblick auf die biblischen Städte Babel und Jerusalem.
- Betreuung: Prof. Dr. Bernhard Jahn und Prof. Dr. Jürgen Sarnowsky
- Zuordnung/Förderung: DFG-Graduiertenkolleg Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit
Magdalena E. Korecka: Visual Poetry on Social Media Platforms: New Media Aesthetic and Digital Activism
Das Dissertationsprojekt verfolgt das Ziel, gegenwärtige visuelle und audiovisuelle Lyrik in den sozialen Medien – Instapoetry, Gedichte auf Twitter und TikTok sowie exemplarische Poesiefilme auf YouTube – zu untersuchen. Diese Art von populärer Lyrik wird durch multimodale Elemente charakterisiert: Text, Fotografien und Illustrationen, Layout, Farbe, Komposition, Typographie und hypertextuelle Verweise wie Hashtags sind Zeichenmodalitäten, die sowohl ästhetische als auch gesellschaftspolitische Bedeutungen evozieren.
Eine multimodale Diskursanalyse wird den Zusammenhang zwischen visuellen und gesellschaftspolitischen Komponenten untersuchen, in Gedichten etwa über Gender, psychische Gesundheit und migrantische oder nationale Identitäten, von Poet:innen aus dem deutsch- sowie englischsprachigen Bereich und dem polnischen Sprachraum, wie zum Beispiel Yrsa Daley-Ward oder Anna Ciarkowska. Das Projekt wird auch eine ‚netnographische‘ Analyse der Kommentarbereiche unter Social-Media-Gedichten beinhalten, um die Rolle der Online-Gemeinschaft als Leser:innen der Social-Media-Lyrik, ihren Beitrag zur Bedeutungskonstruktion in digitalen Kulturen und insbesondere in Bezug auf partizipative Kulturen, zu erforschen. Text-Bild-Beziehungen, Natur als literarisches Motiv, die Konstruktion von Subjektivität und Authentizität, historische Bezüge zur Epoche der Romantik, bestimmte Social-Media-Affordanzen und Ästhetiken sind außerdem Beispiele für weitere relevante Aspekte, die behandelt werden.
Nicht nur klassische Buchlyrik ist „kein Luxus“, wie dies Audre Lorde (1985) bekannterweise behauptet hat, auch Social-Media-Lyrik verfolgt das Ziel der Ermächtigung im Bereich von Misogynie, Rassismus, Klimakrise oder Stereotypen bezüglich geistiger Gesundheit. Ökokritische Ansätze, aktuelle feministische Perspektiven auf Gender und psychische Gesundheit sowie postkoloniale Theorien bilden deshalb das theoretische Fundament der Dissertation. Aufgrund der Interdisziplinarität der verwendeten Methoden und Theorien ist dieses Dissertationsvorhaben zwischen der Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft und Forschung zur Visuellen Kultur verortet. Dieses weite Spektrum spiegelt sich auch im internationalen Korpus wider, das Lyriker:innen aus unterschiedlichen Sprach- und Kulturräumen berücksichtigt und somit auch den Aspekt des kulturellen Einflusses beziehungsweise einer universellen ‚Sprache‘ der Social-Media-Lyrik in den Blick nehmen kann. Das Projekt trägt zur Forschung des bisher wenig untersuchten Bereichs der Social-Media-Lyrik bei und analysiert insbesondere die wechselseitige Beziehung zwischen visueller Ästhetik und soziopolitischer Bedeutungsvermittlung.
- Betreuung: Prof. Dr. Claudia Benthien
- Zuordnung: ERC-Projekt "Poetry in the Digital Age"
- E-Mail: magdalena.korecka"AT"uni-hamburg.de
Linda Krenz-Dewe: Körper – Gedächtnis – Geschlecht. Transgenerationale Traumata und brüchige Identitätskonstruktionen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur jüdischer Autorinnen
Das Promotionsprojekt analysiert aktuelle Texte junger jüdischer Autorinnen (Ramona Ambs, Vanessa F. Fogel, Olga Grjasnowa, Katja Petrowskaja, Julyia Rabinowich, Channah Trzebiner) in Bezug auf Aspekte und Schreibweisen der identitären Verortung, worin die Shoah als 'zentrales Erinnerungsereignis' einen übergeordneten Stellenwert einnimmt. Die Auseinandersetzung mit weiblicher und jüdischer Identität im deutschsprachigen, mehrheitlich nicht-jüdischen Kontext ist das zentrale Sujet der ausgewählten Erzählliteratur, was auf eine unsichere, auszuhandelnde Positionierung im gesellschaftlichen und auch literarischen Feld verweist. Die identitären Suchbewegungen verlaufen zwischen Selbstbe- und Fremdzuschreibungen sowie zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Zudem öffnet der postsowjetische Hintergrund einiger der Autorinnen die literarischen Identitätskonstruktionen in Richtung multipler transkultureller Zugehörigkeiten und Differenzen, was Fragen nach 'dem Jüdischsein' heute noch komplexer werden lässt.
Drei zentrale Gemeinsamkeiten, die zugleich Schwerpunkte der Analyse sind, weisen die Texte dennoch auf: a) die Erfahrung, eine - teils in mehrerlei Hinsicht - 'Andere' zu sein, ist die Grundlage der identitären Konstruktionen; b) das Gedächtnis der Shoah sowie Prozesse der Migration lassen die Texte identitätskonstitutive Topographien des Erinnerns entwerfen; c) der weibliche Körper ist nicht nur Ort vergeschlechtlichender Subjektivation, sondern auch Ort und Medium von (traumatischer) Erinnerung. Das mehrschrittige, diskursanalytisch, gedächtnistheoretisch und narratologisch perspektivierte Analyseverfahren folgt den vielfältigen Verweisungsstrukturen der Texte und zielt zugleich auf die Identifikation spezifischer erinnernder Schreibweisen - auch um diese im Verhältnis zur deutsch-jüdischen Literatur der ersten und zweiten Generation verorten zu können. 'Zwischenräume' der identitären Verortung in kultureller, sprachlicher und topographischer Hinsicht werden mithilfe des Bezugs auf Elemente der postkolonialen Literaturtheorie herausgearbeitet. Aufgrund der großen Nähe der Autorinnen-Biographien zu den textuellen Identitätskonstruktionen sind zudem Fragen der Autorschaft und Autofiktion von Relevanz für das Projekt, das sich in den Feldern der transkulturellen Germanistik als auch der kulturwissenschaftlich orientierten Jüdischen Studien verortet.
- Betreuung: Prof. Dr. Doerte Bischoff, Prof. Dr. Claudia Benthien
- Zuordnung/Förderung: Rosa-Luxemburg-Stiftung, Graduiertenkolleg Vergegenwärtigungen (assoziiert)
Sibylle Kronenwerth: Komplexe Konnektierungen bei Schülern
- Betreuung: Prof. Dr. Angelika Redder
Gesa Lehmann: Homileischer Diskurs - empirische Untersuchung von Kneipengesprächen
- Betreuung: Prof. Dr. Angelika Redder
- Zuordnung/Förderung: Projektmitarbeiterin Koordinierungsstelle BMBF-Forschungsinitiative Sprachdiagnostik/Sprachförderung
- E-Mail: gesa.lehmann"AT"uni-hamburg.de
Qiqi Li: Höflichkeit in Gesprächen. Eine kontrastive Analyse Deutsch – Chinesisch
- Betreuung: Frau Prof. Dr. Kristin Bührig
- E-Mail: Qiqi.Li"AT"studium.uni-hamburg.de
Markus Majewski: Vegane Ernährung im diskursiven Fokus - Eine korpusassistierte diachrone Analyse zum Veganismus-Diskurs in deutschen Printmedien
Sprache und Identität sind eng miteinander verbunden, dies gilt ebenso für Ernährung und Identität. Wie wir uns ernähren und wie wir darüber kommunizieren ist großer Teil unserer eigenen Identitätsbildung. Insbesondere für den Bereich des Veganismus gilt diese Verbindung. Veganer*innen wird nicht selten Dogmatismus oder ‚missionarisches‘ Verhalten vorgehalten und eine vegane Ernährungswahl kann als besonders identitätsstiftend gesehen werden.
In diesem Promotionsvorhaben wird untersucht, wie über Veganismus im Ganzen und Veganer*innen im Speziellen in deutschen Printmedien berichtet wird. Der Ansatz folgt dabei einer diachronen korpusassistierten Diskursanalyse, die sowohl historische Perspektivierung und Entwicklung des medialen Diskurses berücksichtigt als auch soziale Distinktionsprozesse und Selbst- bzw. Fremdzuschreibungen von Veganer*innen untersucht. Hierfür werden ca. 10.000 journalistische Texte aus den letzten 30+ Jahren betrachtet, die Gegenstand quantitativer und qualitativer Untersuchungen sind. Das Ziel ist es eine Übersicht zu schaffen, die den Verlauf des Veganismus-Diskurs in den deutschsprachigen Printmedien abbildet und dessen Veränderung anhand gesellschaftlicher Umwälzprozesse interpretiert. Plakativ gesprochen: Wie wird aus „Veganer essen meinem Essen das Essen weg“ ein zumindest großstädtisches Trendphänomen? Welche anderen Themen und Ereignisse sind maßgeblich für diese Entwicklung und wie verändert sich dabei die sprachliche Darstellung und Bewertung von Veganer*innen?
- Betreuung: Prof. Dr. Jannis Androutsopoulos
- Zuordnung: Doktorandenkolleg Geisteswissenschaften
- E-Mail: markus.majewski"AT"uni-hamburg.de
Maraike Marxsen: Wilful Girls, Deviant Forms. Feminine Adolescence in the Experimental Films and Videos of Sarah Jacobson, Sadie Benning, and Jennifer Reeder
My dissertation investigates the works of three video artists and experimental filmmakers (Sadie Benning, Sarah Jacobson, Jennifer Reeder) who draw on literary genres such as autobiography and diary to deconstruct the representation of feminine adolescence in mainstream cinema. Of central concern are correlations between alternative aesthetics and alternative feminine identities. Associating adolescence, most general, with experiences of upheaval, estrangement, identity fragmentation and reformulation, I ask how this experience is translated into artistic expressions. Already the feminist film theory of second wave feminism considered the writings of Russian formalism to formulate a feminist aesthetics. My theoretical approach is thus informed by classic and contemporary feminist/queer (film) theory with a specific focus on the concept of ostranenie. Moreover, I use the neoformalist concept of ‘background’ to analyze how the translation of literary genres into media art affects both, the representation of feminine adolescence and generic conventions. In short: I am interested in the relation between deviant girls and deviant forms.
Februar – April 2016: 3-monatiger Forschungsaufenthalt in New York (gefördert durch ein Stipendium des DAAD)
- Betreuung: Prof. Dr. Claudia Benthien
- Zuordnung/Förderung: DFG, Projektmitarbeiterin „Literarizität in der Medienkunst“ (bis 2018)
- E-Mail: maraike.marxsen"AT"uni-hamburg.de
Marc Matter: Sound Poetry in the Digital Age: New Media Technologies as Creative Tools for Exper-im¬ental Spoken Word
Das Promotionsprojekt untersucht das intermediale Feld der zeitgenössischen Sound Poetry bezüglich der Nutzung von (elektronischen und digitalen) Medientechnologien als Werkzeuge für die Produktion, anstatt diese nur als Mittel der Dokumentation und Distribution zu betrachten. Dabei folgt es einer Definition von Sound Poetry, die den Einsatz neuer Medientechnologien als produktionsästhetische Werkzeuge explizit fördert. Verschiedene medientechnologische Möglichkeiten, akustische Texte direkt zu manipulieren und so innovative künstlerische Arbeiten zu schaffen, werden in den Blick genommen, um das Potenzial von Medientechnologie für die Sound Poetry zu ermitteln. Experimentelle Dichter:innen wie Anja Utler, Dagmara Kraus, Jörg Piringer und Ian Hatcher schaffen Audiopoesie, die live aufgeführt und/oder auf CD, Vinyl, Kassetten, als Dateien oder aufgenommene Performances, als interaktive Apps und Web-Installationen vertrieben oder, spezifischer für diese Arbeit, als genuin elektroakustische Werke komponiert werden. Dabei werden neueste Medientechnologien wie Soundsoftware, digitale Klangeffekte, Sampler, Computertechnologie, KI und maschinelles Lernen produktionsästhetisch genutzt.
Ein Schwerpunkt liegt auf künstlerischen Arbeiten, die, wie von der Künstlerin Lily Greenham beschrieben, als „neo-semantisch“ klassifiziert werden können. Für die oftmals als asemantisch beschriebene Sound Poetry forderte Greenham eine Bewegung hin zu einer „gezielten Kommunikation“. Dazu werden spezifische Technologien wie Soundeffekte, Schnitt und Montage, Sampling, Online-Anwendungen und maschinelles Lernen und die damit zusammenhängenden künstlerischen Methoden untersucht, um zu zeigen, wie Künstler:innen mit Klang und (Audio-)Texten interagieren und so neue poetische Formen hervorbringen. Zu diesem Zweck werden ausgewählte Sound-Poems unter Anwendung von Methoden der neueren Literaturtheorie, wie beispielsweise „Close Listening“ (Charles Bernstein), der Sound Studies und der Medienwissenschaften analysiert sowie qualitative Interviews mit Künstler:innen geführt und ausgewertet.
Diese Arbeit wird zeigen, dass neuere Werke der Sound Poetry künstlerische Techniken fortsetzen und erweitern, die seit den späten 1950er Jahren entwickelt und als neue Medien und Klangtechnologien breiter verfügbar wurden. Die zentralen Forschungsfragen sind, wie diese neuen Technologien als künstlerische Mittel eingesetzt werden und inwieweit aus diesem Einsatz innovative ästhetische Formen entstehen. Wie sind diese neuen ästhetischen Formen zu bewerten, wie können sie für die literaturtheoretische Diskussion anschlussfähig gemacht werden und welcher konzeptionelle Rahmen ist dafür am besten geeignet?
Darüber hinaus wird das Verhältnis zwischen diesen zeitgenössischen Künstler:innen und ihren Vorläufer:innen im 20. Jahrhundert erörtert, von denen einige die produktionsästhetische Nutzung neuer Medientechnologien als konstitutiv für das Genre definiert haben. Generell wird die aurale Dimension von Lyrik betont, um den Status von Audiotexten als eigenständige literarische Kategorie zu festigen.
- Betreuung: Prof. Dr. Claudia Benthien
- Zuordnung: ERC-Projekt "Poetry in the Digital Age"
- E-Mail: marc.matter"AT"uni-hamburg.de
Ruth Pappenhagen: Mehrsprachigkeit im Hamburger Welcome-Center - empirische Untersuchungen
- Betreuung: Prof. Dr. Angelika Redder
- Zuordnung/Förderung: Projektmitarbeiterin „Offensive Sprachwissenschaft“
Anne Rietschel: Die literarische Selbsterkennung der Wendekinder. Der jugendliche Blick auf die Zäsur 1989/90
In den letzten Jahren erschienen vermehrt literarische Publikationen, in denen die Umbruchszeit der Jahre 1989/90 in der DDR aus Perspektive jugendlicher ProtagonistInnen geschildert wird (u.a. „89/90“ von Peter Richter (2015), „Eisenkinder. Die stille Wut der Wendegeneration“ von Sabine Rennefanz (2013), „Schneckenmühle“ von Jochen Schmidt (2013), „Als wir träumten“ von Clemens Meyer (2006); „Zonenkinder“ von Jana Hensel (2002), außerdem in Kürze „Schöne Seelen und Komplizen“ von Julia Schoch (Februar 2018)). Diese Texte, in denen jugendliche ErzählerInnen auf das Ende der DDR und die anschließende Orientierung in einem neuen Gesellschaftssystem blicken, wurden bisher in der Forschung nicht zusammenhängend betrachtet. In den Texten werden Systemwechsel und die Suche nach dem Selbst während der Pubertät parallel inszeniert – eine Synchronisierung der inneren und äußeren Prozesse wird zum literarischen Narrativ. Auffällig ist der Zusammenhang von AutorInnen-Biografie und Erzählung – die aus der ehemaligen DDR stammenden AutorInnen, die eine doppelte Sozialisation in DDR und BRD durchliefen und die Wendezeit rückblickend aus der Gegenwart schildern, bieten möglicherweise eine erweitere Betrachtungsmöglichkeit der Vorgänge von 1989/90 im Kontrast zu den AutorInnen älterer Generationen.
Diese Dissertation will eine Untersuchung der Texte vornehmen, in denen die sogenannten Wendekinderprotagonistisch vom Umbruch erzählen. Narrative Strategien von Identitätskonstruktion sollen herausgearbeitet werden, um über die literaturwissenschaftliche Analyse hinaus eine gesellschaftswissenschaftliche Kontextualisierung vorzunehmen.
Die Arbeit will an der Schnittstelle von Literatur- und Kulturwissenschaften agieren. Dieser Forschungsaspekt soll zu die bisher vorherrschenden gesellschaftswissenschaftlichen Zugänge zur Erforschung der „Wendekinder“ – vor allem durch das „Netzwerk 3te Generation Ost“ – ergänzen und die Disziplinen in produktiven Austausch bringen. Dabei steht die Frage im Fokus, ob Literatur als Mittel der Identitätskonstruktion im öffentlichen Diskurs gesehen werden kann, mit dem sich die Wendekinder von Fremdzuschreibungen emanzipieren.
- Betreuung: Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer
- Zuordnung: Stipendiatin der Claussen-Simon-Stiftung
- E-Mail: a_rie"AT"gmx.net
Adriana Sabatino: Sprachliches Handeln in Englisch und Deutsch als lingua franca: Gesprächsmanagement und Aufgabenbearbeitung mehrsprachiger Teams
- Betreuung: Prof. Dr. Angelika Redder
Antje Schmidt: Welt im Verfall. Vanitas in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik
In den Künsten der Gegenwart ist bereits seit längerem eine Affinität zur ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Barock zu verzeichnen. In der deutschsprachigen Lyrik zeigt sich diese insbesondere in einer Aneignung des Vanitas-Topos’ mit seiner opulenten Ästhetik sowie seiner spezifischen Semantik der Vergänglichkeit, Nichtigkeit und Scheinhaftigkeit der Welt. Die barocken Vanitas-Figurationen scheinen dabei in besonderer Weise dem Lebensgefühl konsumorientierter, westlicher Gesellschaften der Spätmoderne zu entsprechen, die, so die Hypothese des Dissertationsvorhabens, maßgeblich durch Erfahrungen einer zunehmenden Ästhetisierung des Realen, des steten Wandels und der Dekadenz, einer empfundenen Ohnmacht gegenüber Weltverläufen sowie einer Empfindung der Bedeutungslosigkeit und Vergeblichkeit der Existenz geprägt sind. Neufiguriert wird die barocke vanitas dabei wesentlich durch ihre künstlerische Einbettung in zeitgenössische Diskurse, wie etwa diejenigen zu Genderfragen, zum biologistischen Menschenbild der Moderne, zur Durchdringung aller Lebensbereiche durch Fortschritts- und Konsumlogik sowie zur Todesverdrängung. Die Dissertation hat daher zum Ziel, zeitgenössische Neufigurationen der barocken vanitas in der Gegenwartslyrik zu untersuchen, um zu beschreiben, wie sich das Welt- und Selbstverständnis der Gegenwart im Spiegel barocker Weltanschauung als ‚Späte Neuzeit‘ konstituiert. Hierfür werden einerseits die Formen der Aneignung des barocken Vanitas-Topos’ in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik untersucht, wobei neben Lyrik, in der die vanitas diskursiv verhandelt wird, besonders performative Lyrik von Interesse ist, die sinnlich-ästhetische Erfahrungen der Vergänglichkeit inszeniert. Darüber hinaus wird untersucht, welche Funktionen die literarischen Rekurse auf diesen von christlichen (Heils-)Vorstellungen geprägten und traditionsgeschichtlich bedeutsamen Wissens-, Bild- und Motivbestand haben, wie etwa Gesellschaftskritik, Trost oder bewusste Abgrenzung.
Vera Schmitz: Edwin Erich Dwinger: Die deutsche Passion. Der ‚Kampf um die Deutungshoheit´ über den 1. Weltkrieg in der Kriegsliteratur der späten Weimarer Republik
Edwin Erich Dwinger (1898-1981), ein Zeitgenosse Ernst Jüngers, publizierte im Zeitraum vom 1929-1932 mit „Die deutsche Passion“ einen der erfolgreichsten Texte der Kriegsliteratur. In meinem Promotionsprojekt untersuche ich, mit welchen erzählerischen Mitteln und aufgrund welcher Themenwahl dies dem Text gelang. Indikatoren für diesen Erfolg sind die Auflagenzahlen, die Übersetzungen, die Umarbeitungen des Stoffes sowie die vielfältigen Rezensionen. Ich gehe davon aus, dass der Erfolg von „Die deutsche Passion“ auf zwei Besonderheiten des Textes zurückzuführen ist. Er zeichnet sich durch geschickt eingesetzte Erzählstrategien aus. Diese untersuche ich mit narratologischen Methoden (Gérard Genette).Die zweite Besonderheit ist die Behandlung neuartiger thematischer Komplexe, wie der Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus oder dem Entwurf einer Zukunftsperspektive für Deutschland. Zusätzlich hat der neuartige Umgang mit bereits bekannten Themen zum Erfolg beigetragen. Dies untersuche ich mit literatursoziologischen Methoden (Pierre Bourdieu). Mit meinem Vorhaben möchte ich erklären, wie erzählerische Strategien zur Durchsetzung eines Textes in einem bestimmten literarischen Feld führen und wie, eingebettet in ein Geschehen, weltanschauliche Positionen über erzählerische Strategien transportiert werden.
- Betreuung: Prof. Dr. Jan Christoph Meister
- Zuordnung/Förderung:
- E-Mail: vera_schmitz"AT"hotmail.com
Julia Sitzmann (ehem. Borowski): Wege zur beruflichen Anerkennung: Diskursanalytische Einsichten in die kommunikative Praxis in mehrsprachigen Konstellationen
Wege zur beruflichen Anerkennung: Diskursanalytische Einsichten in die kommunikative Praxis in mehrsprachigen Konstellationen
In meiner Dissertation beschäftige ich mich mit der (mehrsprachigen) Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Migranten bei der »Zentralen Anlaufstelle Anerkennung« der Diakonie Hamburg. Zu diesem Zweck erhebe ich Audioaufnahmen von Beratungsgesprächen zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungsqualifikationen, erstelle anhand dieser Daten ein Korpus, das ich anschließend bzgl. verschiedener Aspekte analysiere. U.a. soll dabei untersucht werden, wie die Gespräche zwischen Vertretern einer Institution (‘Agenten’) und Migranten (‘Klienten’) ablaufen und was diese auszeichnet. Sowohl der Aspekt der Mehrsprachigkeit innerhalb der Kommunikation sowie deren Besonderheiten bzgl. der kommunikativen Praxen spielen dabei eine zentrale Rolle.
- Betreuung: Frau Prof. Dr. Kristin Bührig
- Zuordnung/Förderung: Promotionsstelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur von Prof. Dr. Kristin Bührig
- E-Mail: julia.sitzmann@uni-hamburg.de(julia.borowski"AT"uni-hamburg.de)
Jessica Sohl: Satzanfänge in Schulfachbüchern der Sekundarstufe I und deren Auswirkung auf Textkohärenz und Textverständlichkeit
Gegenstand meines Promotionsprojekts ist der Aufbau von Sprache in Schulfachbüchern der Sekundarstufe I und die damit einhergehende Textkohärenz und Textverständlichkeit. Im Zentrum des Forschungsvorhabens steht dabei der Satzanfang, beziehungsweise das „Vorfeld“, welches im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs als diejenige Stelle im Satz bezeichnet wird, die maßgeblich an der Kohärenzbildung im Textzusammenhang beteiligt ist.
Im Rahmen einer linguistischen Studie auf der Basis eines Schulbuchkorpus, bereitgestellt von der Universität Jena, wird an unterschiedlichen Fachbüchern der Biologie und Geografie untersucht, durch welche Formen und Funktionen das Vorfeld in der Textsorte Schulfachbuch besetzt ist und überprüft, inwieweit die sprachlichen Elemente im Vorfeld zur lokalen Kohärenzbildung im Text beitragen. Um die Schülerinnen- und Schülerperspektive nicht außer Acht zu lassen, werden im Anschluss Textverständlichkeitstests durchgeführt, wobei Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersgruppen Texte mittels Verständlichkeitsrating bewerten. Im Sinne der Triangulation wird zusätzlich das Verfahren des Eye-Tracking zum Tragen kommen, um durch die Dokumentation von Auffälligkeiten im Lesefluss exakt Auskunft darüber geben zu können, bei welchen Vorfeldern im Text die lokale Kohärenz gestört ist.
Obwohl im Rahmen des Promotionsvorhabens keine fachdidaktischen Konsequenzen aus den Forschungsergebnissen gezogen werden, können die Ergebnisse dazu dienen, die Blicke von Lehrkräften auf bestimmte sprachliche Strukturen, die Schülerinnen und Schülern Schwierigkeiten bereiten können, zu schärfen.
- Betreuerinnen: Prof. Dr. Zinsmeister und Prof. Dr. Marion Krause
- E-Mail: jessica.katharina.sohl"AT"studium.uni-hamburg.de
Tanja Stevanović: Historische Untersuchung zum geschlechtsübergreifenden Maskulinum
Bereits vor über zwanzig Jahren wurde eine historische Untersuchung des geschlechtsübergreifenden Maskulinums (GM) im Deutschen – also die Frage, ob es dieses auch in den historischen Sprachstufen des Deutschen bereits gab – als dringendes Forschungsdesiderat benannt. Seitdem hat sich daran jedoch kaum etwas geändert, obwohl das Interesse am GM in der Debatte um geschlechtergerechte Sprache im Deutschen nach wie vor sehr hoch ist. In meinem Dissertationsprojekt möchte ich diese Forschungslücke angehen, indem ich untersuche, mit welchen sprachlichen Mitteln in mittelalterlichen Stadtrechten über Personen geschrieben wird. Dabei wird untersucht, ob maskuline Personenbezeichnungen nachweislich auch für gemischtgeschlechtliche Gruppen oder Frauen verwendet werden, in welchen Kontexten Frauenbezeichnungen eingesetzt werden und ob sich in den Texten Hinweise darauf finden lassen, dass der Einsatz maskuliner Personenbezeichnungen mitunter zu Uneindeutigkeiten führt, die durch den Schreiber aufgelöst werden müssen.
- Betreuung: Prof. Dr. Natalia Filatkina
- Zuordnung: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik
- E-Mail: tanja.stevanovic"AT"uni-hamburg.de
Alexianna Tsotsou: Das Deutschlandbild in den griechischen Zeitungen: eine korpusorientierte diskurslinguistische Analyse
Meine Dissertation beschäftigt sich mit dem Image von Deutschland in vier griechischen Zeitungen im Zeitraum 2001-2013. Der Begriff „Image“ wird in dieser Arbeit als kognitive Einheit bzw. Gesamtheit von Vorstellungen, Bewertungen und Gefühlen einem anderen Land (in diesem Fall: Deutschland) gegenüber verstanden und auf die sprachlichen Mittel ihrer diskursiven Konstruktion hin untersucht. Methodologisch kombiniert die Arbeit eine quantitative korpuslinguistische Analyse mit dem qualitativen diskurshistorischen Ansatz der Kritischen Diskursanalyse. Durch die analytischen Kategorien der Schlüssellexeme und der Kollokationen einerseits, der thematischen Analyse, Intertextualität und diskursiven Strategien andererseits werden die Eigenschaften herausgearbeitet, die Deutschland in der griechischen Presse zugeschrieben werden. Das Image Deutschlands in der griechischen Presse wird dabei sowohl diachronisch untersucht und dabei mit dem soziopolitischen Kontext (u.a. der griechischen Finanzkrise) in Beziehung gebracht, als auch synchronisch analysiert, wobei die Haltung der einzelnen Zeitungen Deutschland gegenüber unter die Lupe genommen wird.
- Betreuung: Prof. Dr. Jannis Androutsopoulos
- Zuordnung/Förderung: Stipendiatin der Alexander-Onassis-Stiftung
- E-Mail: tsotsou"AT"gmail.com
Jonas Wagner: „theory of mind“, diskursive und pragmatische Basisqualifikationen – Kategoriendiskussion und empirische Analysen im Vorschulalter
- Betreuung: Prof. Dr. Angelika Redder
- Zuordnung/Förderung: Projektmitarbeiter BMBF-Projekt "MuM-Multi"
- E-Mail: jonas.wagner"AT"uni-hamburg.de
Laura Franziska Wittwer: Kind und Kindheit in Franz Kafkas Werken
‚Viele Kinder‘ sollen – wie schon Walter Benjamin anmerkte – Kafkas Texte auf eine zugleich permanente und subtile Weise bevölkern; darauf hat die Kafka-Forschung schon vor vielen Jahren hingewiesen. Nichtsdestotrotz fehlt es weiterhin an einer umfassenden und systematischen Analyse des Motivs der Kindheit und des Kindes in Kafkas Werken. In diesem Forschungsvorhaben soll offengelegt werden, wie stark sich das Infantile in Kafkas Œuvre trotz aller externen Versuche des Verständlich- und Verfügbarmachens durch eine konstitutive Instabilität und Unverfügbarkeit auszeichnet. Schließlich verknüpfen gerade derart ambivalente Ursprünglichkeitsphantasmagorien die Diskursphänomene ‚Kind(heit)‘ und ‚Kunst‘ um 1900. Das Hauptaugenmerk der Dissertation gilt daher Kafkas Figuration von Kind und Kindheit als poetologischem Reflexionsraum vor der Folie zeitgenössischer Diskurse und literarischer Prätexte.
- Betreuung: Prof. Dr. Cornelia Zumbusch
- Zuordnung/Förderung: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik
Johanna Witzenrath: An Stelle der Seele. Transformation und Metaphorik lyrischer Subjektivität in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik
In den 1990ern, der sogenannten Dekade des Gehirns, verhandelt Durs Grünbeins Schädelbasislektion (1991) anthropologische Fragen unter Bezug auf die Hirnforschung und verabschiedet einschlägigen Deutungen zufolge das metaphysische Konzept der Seele zugunsten der Materialität des Körpers („Dem Skelett an der Wand / Was von Seele zu schwafeln“). Daraus folge eine physiologisch begründete Biopoetik (Zemanek 2016), etwa auch bei zeitgenössischen Lyrikerinnen und Lyrikern wie Ulrike Draesner, Brigitte Oleschinski oder Raoul Schrott. Daneben ist zu beobachten, dass im 21. Jahrhundert publizierte deutschsprachige Lyrik anthropologische „Grundlagenpoesie“ (Metz 2018: 58) unter Rekurs auf die auch historisch enge Verbindung von Seele und Poesie betreibt (vgl. Poetica III, 2017: Die Seele und ihre Sprachen). Thematisch wie poetologisch sind Seelenkonzepte in der Gegenwartslyrik relevant, um Formen lyrischer Subjektivität zu entwerfen.
Das Promotionsprojekt untersucht Subjektivität in deutschsprachiger Lyrik des 21. Jahrhunderts unter dem Blickpunkt der anthropologischen Implikationen. Es erarbeitet die Verknüpfung von Subjektivität und Seele im lyriktheoretischen Paradigma der Erlebnislyrik, auf das die Lyrik der Gegenwart Bezug nimmt (Metz 2018). Ausgehend von Thomas Fuchs’ Konzeption verkörperter Subjektivität (Fuchs 2008/2013) fokussiert das Projekt zeitgenössische poetische Ausformungen der traditionell zentralen anthropologischen Kategorien Denken, Leben und Fühlen. Maßgeblich dafür sind Gedichte und Poetiken von Nico Bleutge, Hendrick Jackson, Birgit Kreipe, Christian Lehnert, Steffen Popp, Marion Poschmann, Monika Rinck und Silke Scheuermann. Schließlich reflektiert die Studie insbesondere mit Rincks Gedicht „Die Stelle mit der Seele“ (Rinck 2018) das Lesen als hermeneutisches Verfahren, das metaphysische Subjektivität involviert.
- Betreuung: Prof. Dr. Claudia Benthien
- Zuordnung: Wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Claudia Benthien
- E-Mail: johanna.witzenrath"AT"uni-hamburg.de
Christian Wobbeler: Theatrum vanitatis. Barocke Vergänglichkeit, Flüchtigkeit und Schein in zeitgenössischen Theaterinszenierungen
Trotz der immer wieder konstatierten These der Todesverdrängung in westlichen Gesellschaften zeigt sich seit einigen Jahren vermehrt eine intensive Reflexion über Vergänglichkeit und Tod in den Gegenwartskünsten. Diese künstlerischen Auseinandersetzungen weisen sich dabei durch einen auffälligen Bezug auf den Vanitas-Topos des 17. Jahrhunderts aus. Das interdisziplinär angelegte Promotionsvorhaben widmet sich der Frage, inwiefern in zeitgenössischen Theaterinszenierungen von u.a. René Pollesch, Kay Voges und Antú Romero Nunes Bezugnahmen auf diesen frühneuzeitlichen Topos mitsamt seiner spezifischen Bildlichkeit und Semantik nachzuweisen sind und welchen mit dieser Wiederholung einhergehenden semantischen Reduktionen, Umdeutungen oder Entleerungen die Rekurse unterliegen. In sowohl semiotisch als auch phänomenologisch orientierten Aufführungsanalysen sollen dabei zum einen die intermedialen Bezugnahmen auf die aus der bildenden Kunst und Literatur stammenden Vanitas-Symbole wie zum Beispiel dem Schädel als visuelle Inszenierungsstrategien untersucht werden. Zum anderen sollen die durch die Verwendung ephemerer Theatermittel vollzogene Rematerialisierung von Vergänglichkeitssymbolen wie beispielsweise Rauch als intermaterielle Bezugnahmen, die eine selbstreflexive Zeitinszenierung und -erfahrung ermöglichen, im Fokus der Untersuchung stehen. Darüber hinaus wendet sich das Vorhaben auch solchen Inszenierungen zu, die eine Aktualisierung der dem Vanitas-Topos verwandten Theatrum-mundi-Metapher vornehmen und diese für eine kritische Reflexion der gegenwärtigen Inszenierungs-, Konsum- und Erlebnisgesellschaft instrumentalisieren. Eine Analyse aller genannten künstlerischen Strategien soll ferner zeigen, welche Rückschlüsse über den Umgang und die Reflexion über Tod, Vergänglichkeit aber auch Scheinhaftigkeit in der Gegenwartsgesellschaft gezogen werden können.
- Betreuung: Prof. Dr. Claudia Benthien
- Zuordnung: Ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. Claudia Benthien
- E-Mail: c.wobbeler"AT"gmail.com
Clara Cosima Wolff: Interart-Konzepte und Mehrsinnlichkeit als Elemente des Barriereabbaus in zeitgenössischen Lyrikformaten
Diese Doktorarbeit untersucht Strategien des Barriereabbaus in zeitgenössischer Lyrik. Der Begriff ‚Barriere‘ wird als fehlende Zugänglichkeit in seiner Mehrdeutigkeit beleuchtet: als Grenze zwischen sogenannter ‚Hoch‘- und ‚Populärkultur', als wahrnehmungsbezogene Barriere, sowie als Grenze zwischen Kunstgattungen. Barriereabbau soll mittels Strategien der Zugänglichkeit (accessibility) erzielt werden, welche in dieser Arbeit entlang der kritisch zu reflektierenden Kategorien ‚Hoch-/Populärkultur‘, sowie mit Hilfe der Konzepte von Mehrsinnlichkeit und Interart analysiert werden. Mehrsinnlichkeit bezieht sich auf die Wahrnehmung von Gedichten, die über das Visuelle hinausgehen, Interart bezieht sich auf Gedichte, die über das rein Literarische hinausgehen und andere Kunstgattungen integrieren.
Zeitgenössische Lyrik situiert sich zwischen den Extremen der leichten Konsumierbarkeit und der Hermetik. Formate wie Social Media Poetry oder Poetry Slams sind leicht zugänglich und sprechen ein breiteres Publikum an, während gleichzeitig konventionelle ‚Wasserglaslesungen‘ und Lyriktreffen in kleinen Kreisen stattfinden, denen bisweilen der Vorwurf der Unzugänglichkeit entgegengebracht wird. Um Prozesse der Sichtbarmachung und kritischen Hinterfragung anzustoßen, stehen folgende Forschungsfragen im Zentrum: 1. Inwiefern existieren Barrieren in zeitgenössischer Lyrik und ihren Veranstaltungs- und Präsentationsformaten? 2. Welche Lyrikformate führen zu einem aktiven Barriereabbau und erhöhter Zugänglichkeit und sprechen dadurch eine erweiterte Zielgruppe an? 3. Was sind künstlerischen Verfahren, die zur Überwindung von Barrieren eingesetzt werden, und durch welche Strategien tragen performative audioliterarische Formate (u.a. im digitalen Raum) zur erhöhten Zugänglichkeit bei?
Ein erster Teil der Untersuchung ist partizipativ-explorativ angelegt und besteht in einer Kurzumfrage zum Erfassen von Barrieren in zeitgenössischer Lyrik sowie qualitativen Interviews mit Expert:innen, beides zusammen wird in einem ‚Barrierenkatalog‘ resultieren. Ein zweiter, umfänglicher Teil der Arbeit analysiert dann unter Bezugnahme auf den Katalog Fallbeispiele zeitgenössischer Lyrik hinsichtlich ihrer Zugänglichkeit. Sie werden heuristisch in zwei Kategorien gegliedert: Kulturbarrieren und Sinnesbarrieren. Begonnen mit Kulturbarrieren werden Deaf Slams, Gedichte von Künstlicher Intelligenz, Social-Media-Poetry, Print on Demand Poetry, kollektive und partizipative Lyrikprojekte, Gedichte in leichter Sprache sowie Lyrikvermittlungsformate untersucht. Mittels des Konzepts der Mehrsinnlichkeit werden sodann Gebärdensprachenpoesie, Braille-Gedichte, und Untertitelpoesie, und mittels des Interart -Konzepts werden audioliterarische Formate (z.B. Magazine für gesprochene Literatur), Text-Bild-Performances, Gedichtinstallationen, Poesiefilme und intersemiotische Übersetzungen exemplarisch in den Blick genommen.
Barrieren und Zugänglichkeit sind Begriffe der Disability Studies, die bislang nicht auf zeitgenössische Lyrik angewendet wurden. Die interdisziplinäre Herangehensweise dieser Arbeit, die Ansätze aus Psychologie, Literatur- und Kulturwissenschaft, Disability Studies, sowie Medien- und Theaterwissenschaft vereint, soll einen Beitrag zum kritischen Selbstverständnis des Lyrikbetriebs sowie zur Erklärung der Popularität bestimmter Lyrikformate leisten.
- Betreuung: Prof. Dr. Claudia Benthien
- Zuordnung: ERC-Projekt "Poetry in the Digital Age"
- E-Mail: clara.cosima.wolff"AT"uni-hamburg.de