Paul Hohn, M.A.

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Schwerpunkte
- Literatur und Mediumismus
- Rhetorik und Ästhetik der Evidenz
- Medienkomparatistik
- Materialität der Literatur
Dissertationsprojekt
„Mediumismus und Literatur im frühen 20. Jahrhundert“ (Arbeitstitel)
Im frühen 20. Jahrhundert waren die umstrittenen Modepraktiken von Spiritismus, Parapsychologie und Theosophie auch bei Literaten wie Rainer M. Rilke, Thomas Mann, Alfred Döblin oder Franz Kafka populär (Pytlik 2006). Die Frage nach immanenten Zusammenhängen zwischen formalen Innovationen moderner Ästhetik und dem Spiritismus hat zwar literaturwissenschaftliche Forschung angeregt (Braungart 1998), jedoch fielen deren Ergebnisse weitestgehend negativ aus (Baßler 2002). Reden von Gespenstern, Schwingungen oder Aura werden als bloße Metaphern interpretiert (Wagner-Egelhaaf u.a. 2005) oder auf technische Effekte reduziert (Kittler 1985, 1986; Stockhammer 2000; Kammer 2008). Für das Schreiben der Modernen werden mediumistische Praktiken meist als folgenlos eingestuft (Zanetti 2005; Morgenroth 2022) und „Schreibszenen“ (Campe 1991) von Séancen sind bislang kaum in die Forschung zum kollektiven Schreiben eingegrenzt (Traupmann, Ehrmann 2022).
Hieran erweist sich ein Methodenproblem, das von der Präferenz für modernistische Lektüreverfahren und deren theoretischen Voreinstellungen abhängt. Literaturwissenschaftliche Lektüren tragen durch ihre Konzentration auf einen „immanent festzustellenden ästhetischen Mehrwert“ dazu bei, Literatur wie Rilkes Elegien (1923), Walter Benjamins Drogenprotokolle (1927-1934) oder Kafkas Tagebuchaufzeichnungen (1909-1923) von ihren mediumistischen Heteronomien zu bereinigen (Ghanbari, Hahn 2013; Albers u.a. 2022). Und sie neutralisieren religiöse und politische Einsätze der Referenzen auf mediumistische Praktiken und Anschauungen, wenn sie ihre Selbstverpflichtung auf die „Vorstellung einer wissenschaftlichen Moderne“ auf die literarischen Texte projizieren (Pornschlegel 2017).
Diese Dissertation setzt stattdessen beim medienanthropologischen Begriff des „Mediumismus“ an und richtet einen ethnografischen Blick auf die moderne Tradition (Schüttpelz 2012). Sie versucht zu zeigen, dass Kafka, Rilke, Mann, Benjamin, aber auch Hugo Ball, Emmy Hennings, Walter Mehring, Carl Einstein, André Breton, Wassily Kandinsky oder Hilma Af Klint sich auf Totengeister, das Unbewusste, höhere Wahrnehmungs- und Wissensfähigkeiten beriefen, um eine widersprüchliche und vielstimmige Kritik an szientistischen und ästhetizistischen Vorstellungen der bürgerlichen Moderne, an ihrer Medizin, Kirchenreligion, Wirtschaftsweise und patriarchalen Ordnung zu äußern (Braude 1989; Linse 1983, 1986, 1996).
Viele Kunst- und Literaturschaffende nahmen die Kommunikationsziele mediumistischer Interaktion wie Trost, Heilung, Kollektivität, Ekstase, Beratung und höheres Wissen ernst, und sie stellten Experimente an, um diese in eigener Praxis herbeizuführen. Ausgehend von diesem irritierenden Befund werden Konzepte der Akteur-Netzwerk-Theorie (Latour 2005), der Ethnomethodologie (Garfinkel 1967) und der Interaktionslinguistik (Imo 2013; Hausendorf 2015) herangezogen, um mediumistische und literarische Darstellungspraktiken symmetrisch zu beschreiben (Bloor 1976).
Textanalytisch stehen mediumistische Verwendungsweisen von Techniken der Apostrophe, des Soliloquiums und des Dialogs im Fokus. Ihr Gebrauch in den Séancen und der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts lädt dazu ein, die Thesen von den Funktionsverlusten der Geisteranrufung (Schlaffer 2012) und des meditativen Selbstgesprächs (Butzer 2008) in der gesellschaftstheoretischen Moderne zu differenzieren. Wiederkehrende Bekundungen des mediumistischen Begehrens einer postautonomen Literaturwissenschaft (Greenblatt 1993; Grésillon 1998; Weigel 2002; Zymner 2019) gebieten dabei eine Reflexion auch der grundlegenden geisteswissenschaftlichen Praxis, in fremdem Namen zu sich selbst zu sprechen (Weimar 1994), der eigenen Haltung zum Lesen.
Betreuung: Prof. Dr. Marcus Twellmann u. Prof. Dr. Doerte Bischoff
Zuordnung: Doktorandenkolleg Geisteswissenschaften
E-Mail: paul.hohn"AT"uni-hamburg.de
Lehrveranstaltungen
WiSe 2022/23:
Seminar Ib Anschaulichkeit
SoSe 2023:
Seminar Ib Leserkonzepte und Lektürepraktiken
Seminar II Mediumismus und Literatur (gemeinsam mit Marcus Twellmann)
WiSe 2023/24:
Seminar Ib Schreibszenen vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart
SoSe 2024:
Seminar Ib Anschaulichkeit
Wissenschaftlicher Werdegang
- seit April 2022: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik (Neuere Deutsche
Literaturwissenschaft) - 2018: Tutor für Dramentheorie am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien
Universität Berlin - 2017-2021: Masterstudium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der
Freien Universität Berlin - 2013-2017: Bachelorstudium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft,
Deutschen Philologie und Philosophie an der Freien Universität Berlin - September 1994 geboren in Gießen