Seminare im SoSe 17
Folgende fünf Seminare, die im Sommersemester am Institut für Germanistik angeboten werden, sind für das Lehrprojekt geöffnet:
- 52-144 Historische Wortbildung (Renata Szczepaniak)
- 52-145 Frühes Neuhochdeutsch (Melitta Gillmann)
- 52-134 Wortarten: Systematik und Entwicklung (Eleonore Schmitt)
- 52-136 Geschichte des deutschen Schriftsystems (Lisa Dücker)
- 52-135 Prinzipien des Sprachwandels (Annika Vieregge)
Historische Wortbildung
Renata Szczepaniak
Seminar 52-144
Die Wortbildung umfasst Verfahren, die zur Bildung von neuen Wörtern führen. So kreiert man neue Adjektive u.a. dadurch, dass man einen Verbstamm (z.B. dreh- oder erklär-) mit dem Suffix -bar kombiniert: dreh- + -bar > drehbar (eine drehbare Bühne). Die historische Wortbildung beschäftigt sich mit der Entstehung, dem Wandel, aber auch dem Schwund einzelner Wortbildungsmuster: So wird in diesem Seminar u.a. die Entstehung des bar-Suffixes aus dem althochdeutschen Adjektiv *bari 'tragend' von ahd. beran 'tragen' verfolgt (vgl. gebären 'austragen', engl. to bear 'tragen'). Andere Affixe schwanden hingegen allmählich und wurden durch konkurrierende Affixe ersetzt: Das mhd. -e (wie noch in Tauf-e 'Vorgang des Taufens') wurde zunehmend durch -ung (wie in Grabung 'Vorgang des Grabens') und später durch den nominalisierten Infinitiv, z.B. das Graben, ersetzt. Darüber hinaus werden wir in diesem Seminar beobachten, wie sich das Deutsche allmählich zu einer kompositionsfreudigen Sprache entwickelt hat: Während im Althochdeutschen Komposita - wie in vielen modernen europäischen Sprachen - selten waren, nahm seit dem Frühneuhochdeutschen die Tendenz zur Bildung von zwei- und mehrgliedrigen Komposita zu (Autobahn, Autobahnausfahrt, Autobahndreieck, Autobahnpolizei, Autobahnpolizeistation).
Frühes Neuhochdeutsch
Melitta Gillmann
Seminar 52-145
Gemäß der Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte beginnt das Neuhochdeutsche ab ca. ~1650 n.Chr. Demzufolge sollte das Sprachsystem seit diesen Überlieferungen relativ stabil geblieben sein. Betrachten wir aber bspw. Grimmelshausens Simplicissmus (1669) und selbst Goethes Werke (1749-1832), können wir erkennen, dass sich wesentliche sprachstrukturelle Muster geändert haben. Während sich bei Goethe noch partitive Genitive (z.B. Anfang Septembers) oder das Dativ-e finden, sind diese Strukturen im Gegenwartsdeutschen ungebräuchlich. Ähnlich sind noch im 18. Jh. Jahrhundert temporale Verwendungen des Subjunktors da verbreitet (die Stunde, da wir nichts voneinander wussten) und der konzessive Konnektor trotzdem markiert noch im 19. Jh. überwiegend Nebensätze (trotzdem die Nachweise äußerst dürr und sogar auch vielfach fehlerhaft sind).
Im Seminar untersuchen wir diese und vergleichbare morphologische und syntaktische Besonderheiten der frühen neuhochdeutschen Epoche korpuslinguistisch. Dabei werden wir den diachronen Wandel, den Einfluss von Textsorten und Sprachlandschaften sowie die Einstellung zeitgenössischer Grammatiker berücksichtigen. Die Studierenden werden im Seminar in Gruppen an einem Forschungsprojekt arbeiten, dessen Ergebnisse zunächst in Form eines Referats präsentiert und später in einem wissenschaftlichen Poster festgehalten werden.
Wortarten: Systematik und Entwicklung
Eleonore Schmitt
Seminar 52-134
Die Klassifikation von Wörtern in Wortarten hat eine lange Tradition, ist aber alles andere als einfach. Dies lässt sich bspw. an Konversionen zeigen: Aus dem Verb handeln kann ein Substantiv gebildet werden, also das Handeln. Die Wortform ist dabei abgesehen von der Groß- und Kleinschreibung unberührt geblieben. Der Wortartenwechsel lässt sich erst in der Flexion erkennen: Während das Verb flektiert (ich handele, du handelst…), dekliniert das Substantiv (des Handelns, dem Handeln).
Im Seminar werden theoretische sowie empirische Zugänge zu Wortarten diskutiert. Zunächst wird dabei der Frage nachgegangen, nach welchen Kriterien sich die Wortarten des Deutschen voneinander abgrenzen lassen. Dabei wird der semantische Ansatz (etwa: Substantive beziehen sich auf etwas, das man sehen und anfassen kann/Verben beschreiben Aktionen) kritisiert. Wie bereits das Handeln zeigt, greift dieser Ansatz zu kurz. Stattdessen wird ein morphologisch-syntaktischer Ansatz verfolgt. Nach diesem Ansatz werden Substantive und Verben nicht nach ihrer Semantik, sondern nach ihrer Flexionsart (Flexion nach Kasus vs. Flexion nach Person, Tempus und Modus) unterschieden. Neben der Bestimmung von Wortarten wird die Frage nach der Funktion verschiedener Wortarten im Zentrum der theoretischen Diskussion stehen.
Im empirischen Teil wird nach der Anwendbarkeit der im Theorieteil erarbeiteten Kategorien fragen: Können alle Wörter eindeutig in ihrer Wortart bestimmt werden? Wo stößt das Konzept der Wortarten möglicherweise an Grenzen? Können Wörter ihre Wortart wechseln? Hierbei werden zentrale Methoden der Linguistik wie Korpusuntersuchungen und Fragebögen vorgestellt und auf Wortarten angewendet.
Geschichte des deutschen Schriftsystems
Lisa Dücker
Seminar 52-136
Das Seminar beschäftigt sich mit Eigenschaften des deutschen Schriftsystems und beleuchtet dabei die komplette Geschichte der deutschen Schrift vom Althochdeutschen bis in die heutige Zeit. Dabei stehen vor allem graphematische Phänomene im Mittelpunkt, die für das Deutsche spezifisch sind. So steht neben einer allgemeinen Einführung in verschiedene Verschriftungsprinzipien auch die empirische Untersuchung authentischer Sprachdaten im Mittelpunkt, wobei zum Beispiel die diachrone Entwicklung der Umlautschreibung (<oͤ>/<ö>), die Entstehung des <ß> und das sogenannte Schaft-s (<ſ>) untersucht werden. Ziel des Seminars ist es, das Aufkommen und die Verbreitung von Wandelphänomenen in der Schrift und somit die Entstehung des aktuellen Schriftsystems nachzuvollziehen.
Prinzipien des Sprachwandels
Annika Vieregge
Seminar 52-135
Sprachen wandeln sich stetig – so auch die deutsche Sprache. Der Wandel betrifft sowohl den Wortschatz, der relativ offen für neue Wörter ist, als auch die Grammatik, die sich verhältnismäßig langsam verändert. Anhand der Untersuchung exemplarischer Sprachwandelphänomene werden im Seminar grundlegende Prinzipien erarbeitet, die unsere Sprache und ihren Wandel prägen. So zeigen etwa Rezipientenpassiv-Sätze wie sie bekommt die Haare geschnitten, wie die sprachliche Perspektivierung eines Geschehens zu einer neuen Passivvariante führen kann. An der Entwicklung der Negationspartikel nicht wird deutlich, dass funktional Relevantes (wie z.B. ob ein Satz verneint ist) durch Wandel auf der Formseite hervorgehoben wird.