Trauer um Prof. Dr. Max Boeters
3. August 2017, von Cornelia Gläser
In memoriam Max Boeters
(* 2. Februar 1928 in Körlin/-Persante (Hinterpommern) † 19. Juli 2017 in Hamburg)
Max Boeters, der seit 1958 am späteren Institut für Germanistik als wissenschaftlicher Assistent, Rat und Oberrat sowie seit 1977 als Professor für Linguistik des Deutschen gewirkt hat, ist am 19. Juli 2017 gestorben.
Nach Wolfgang Bachofer, Ernst-Otto Gercke, Karl-Heinz Mulagk, Karlheinz Borck, Kurt Schacks und Rena Leppin lebt nun niemand mehr aus dem Kreis der Kollegen am früheren Germanischen Seminar, der in seiner Jugend oder im jungen Mannesalter den Krieg und die nationalsozialistische Diktatur erleben musste. Boeters erfuhr damals den Verlust des Elternhauses, seiner Heimat, das Auseinanderreißen der Familie, die Verschleppung und den Tod des Vaters sowie die Flucht und Internierung in Dänemark. Er legte in Magdeburg das Abitur ab, studierte seit dem SoS 1948 in Greifswald Deutsch, Geographie und Pädagogik und wurde nach dem ersten Staatsexamen wissenschaftlicher Assistent bei Fritz Tschirch. Als dieser den Ruf nach Jena erhalten hatte, folgte ihm Boeters. Weil Tschirch 1958 in den Westen geflohen war, musste Boeters befürchten, das gleiche Schicksal zu erleiden wie der einzige Kollege am Institut, der wie er nicht der Partei angehörte und seine Stelle verlor. Durch günstige Umstände konnte Boeters eine Assistentenstelle in Hamburg antreten. Ihm glückte die Flucht über Berlin in die Bundesrepublik.
Während der elf Jahre als Assistent in Hamburg lernte Boeters die negativen Seiten der alten Ordinarienuniversität kennen. Denn über die eigenen Proseminare mit 150 und mehr Studenten und zahllose Korrekturen hinaus musste er noch die Vorlesungen seines Chefs niederschreiben, die bei ihm verfassten Seminar- und Examensarbeiten beurteilen und mit seinem Co-Assistenten die über sieben Jahre sich hinziehende Arbeit übernehmen, den Lesartenapparat zum 30.000 Verse zählenden ‚Neuen Gesamtabenteuer‘ auf der Basis von 38 Handschriften zu erstellen und die alte Edition Niewöhners mit der handschriftlichen Überlieferung zu vergleichen. Bei solcher Belastung war an eine Habilitationsschrift nicht zu denken, zumal Boeters nach der Ernennung zum Beamten über das volle Lehrdeputat hinaus die Buchanschaffungen der Institutsbibliothek verantwortete und sich in der Selbstverwaltung intensiv in der Studienreform engagierte.
Damals hat Boeters vor den anderen Kollegen das Defizit erkannt, dass im Studium die sprachliche Seite der Germanistik nicht angemessen berücksichtigt wurde und die Eigengesetzlichkeit der Sprache, die Struktur des sprachlichen Systems, deren Ordnungsprinzipien und Veränderungstendenzen somit nicht zum Ausdruck kamen. Zudem bemängelte er zu Recht, dass Lehrveranstaltungen zur Geschichte der deutschen Sprache, zur Sprache der Neuzeit und zur Gegenwartssprache fehlten. Seine Argumente führten dazu, dass 1969 neben der Älteren und Neueren Deutschen Literatur die Sprache als drittes Teilfach etabliert wurde. Ab 1962 waren seine ‚Übungen zur neuhochdeutschen Grammatik‘ ein absoluter Renner im Lehrangebot.
Ohne Zweifel lag Boeters‘ Hauptinteresse auf der Lehre, darüber hinaus hat er aber auch vornehmlich sprachhistorische Abhandlungen verfasst. In seiner Dissertation ‚Lehrer. Eine wortgeschichtliche Untersuchung‘ hat er methodisch ebenso problembewusst wie souverän frühere Studien klar charakterisiert, zutreffend kritisiert und korrigiert.
Auch im Verlauf der sechsmonatigen Gastprofessur an der Fremdsprachenhochschule in Peking im Winter 1982/83 leistete Boeters Pionierarbeit, indem er seinen chinesischen Studenten vermittelte, dass es keine allgemeingültige ‚Deutsche Stilistik‘ gibt, wie seine Gastgeber sie sich von ihm erhofften, sondern dass der Schreibstil im Deutschen von der Textsorte des zu produzierenden Textes abhängt. Zu dem Zweck erarbeitete er eine textlinguistisch fundierte Textsortentypologie mit charakteristischen Stilmerkmalen.
Im Ruhestand vollendete Boeters seine jahrzehntelang geplante ‘Geschichte der deutschen Halb-Zahlwörter. Untersuchungen zur Neubesetzung eines lexikalischen Feldes und zur Univerbierung syntaktischer Gruppen‘. Das philologische Meisterstück historischer Forschung weist seinen Autor als detailversessenen, methodisch reflektierten, präzise analysierenden und profunde argumentierenden Geisteswissenschaftler aus. – Auch in seinem weiteren Ruhestand hat Boeters eine Anzahl biographischer und ausgreifender historischer Artikel verfasst.
In seiner Integrität, Aufrichtigkeit und Unerschrockenheit haben wohl alle, die ihn kannten, Max Boeters geschätzt und geachtet. Wie kein anderer war er dem Institut verbunden – eine tragfähige Brücke über alle Gruppen und Gruppierungen hinweg. Zahllose Studenten werden ihn als begeisternden und begeisterten, gewissenhaften und disziplinierten, engagierten und hoch motivierten akademischen Lehrer in Erinnerung behalten.