Nachruf Prof. Dr. Dieter Möhn
14. April 2025, von Webredaktion IfG
Wir trauern um unseren hochgeschätzten Kollegen und akademischen Lehrer Prof. Dr. Dieter Möhn, der am 6. April 2025 im Alter von 88 Jahren verstorben ist. Dieter Möhn war von 1969 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 in unserem Institut Professor für Deutsche Philologie mit besonderer Berücksichtigung des Niederdeutschen. Einen akademischen Nachruf finden Sie hier.
Am 6. April 2025 ist Prof. Dr. Dieter Möhn im Alter von 88 Jahren verstorben. Von 1969 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2020 hatte er am Institut für Germanistik der Universität Hamburg eine Professur für Deutsche Philologie mit besonderer Berücksichtigung des Niederdeutschen inne. Sein breit gefächertes wissenschaftliches Interesse galt neben dem Niederdeutschen vor allem den Fach- und Sondersprachen. Lehre und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses waren ihm ganz wesentliche Anliegen.
Dieter Möhn wurde an der Universität Marburg mit einer Dissertation zur „Struktur der niederdeutsch-mitteldeutschen Sprachgrenze zwischen Siegerland und Eichsfeld“ im Jahr 1961 promoviert und war dort bis zu seiner Berufung an die Universität Hamburg als Akademischer Rat und Oberrat tätig. Neben der Dialektologie/Dialektgeographie etablierte er bereits in den 1960er Jahren als weiteren signifikanten Forschungsschwerpunkt die Fachsprachenforschung mit Studien zur Sprache in Industriebetrieben.
An der Hamburger Universität widmete sich Dieter Möhn insbesondere dem Niederdeutschen. Neben Studien zur Stadtsprache Hamburgs lassen sich als zentrale Themenbereiche die Geschichte der niederdeutschen Sprache, Niederdeutsch und Schule, Methoden der niederdeutschen Sprachwissenschaft, Wortbildung, Lexikologie und Lexikographie sowie die Literaturgeschichte und die Textsorten des Alt- und Mittelniederdeutschen nennen. Ein spezifisches Augenmerk galt den vielfältigen Verknüpfungen und Überschneidungen von Varietäten, z.B. regionaler und funktionaler Varietäten bei handwerklichen Fachsprachen, bei regional geprägten Sondersprachen und auch bei der historischen Entwicklung einzelner Varietäten. Analysen zur Geschichte einer historisch gewachsenen norddeutschen Zweisprachigkeit unter kontaktlinguistischen Gesichtspunkten wurden stets in den Kontext gesellschaftlichen Wandels gestellt; niemals wurde Sprache isoliert von ihren gesellschaftlichen Bedingtheiten betrachtet. Bei der Erarbeitung der niederdeutschen Grammatik im Institut für niederdeutsche Sprache rückte auch die Sprachmittlung in den Blick.
Dieses vielfältige Interessenfeld korrespondierte mit methodischer Breite. Arbeiten zur Lexikologie und Lexikographie und zur Grammatik stehen neben funktionalen textlinguistisch basierten Analysen und Arbeitsbüchern für den akademischen Unterricht, z. B. zur Fachsprachenforschung. Auch die Leitung wissenschaftlicher Großprojekte (Mittelniederdeutsches Wörterbuch, Hamburgisches Wörterbuch) und die Herausgabe von Zeitschriften (Fachsprache) sowie von Sammelbänden (u.a. Handbuch zur niederdeutschen Sprach- und Literaturwissenschaft) sind als Bestandteile des wissenschaftlichen Portfolios hervorzuheben.
Nach der Emeritierung entstanden wegweisende Forschungsarbeiten wie das niederdeutsche Textbuch „Spuren der Vergangenheit für die Gegenwart“, in dem die niederdeutsche Sprach- und Literaturgeschichte im Spiegel unterschiedlicher Textsorten bis ins 17. Jahrhundert dokumentiert wird, oder wie die zweibändige niederdeutsche Literaturgeschichte mit dem Titel „Niederdeutsche Literatur seit 1945. Teilgeschichten einer Regionalliteratur“. Die Grundlagenforschung zum Mittelniederdeutschen profitierte von der Fortführung des Mittelniederdeutschen Wörterbuchs. Der unermüdlichen ehrenamtlichen lexikographischen Tätigkeit verdankt sich die Kontinuität des Mittelniederdeutschen Wörterbuchs, die immer wieder durch äußere Bedingungen gefährdet war und ist. Als Bausteine einer dringend benötigten neuen mittelniederdeutschen Grammatik erschienen Arbeiten zur Lexembildung als wichtige Impulse für künftige Forschungen.
Lässt man die Publikationen Revue passieren, wird schnell deutlich, dass Dieter Möhn ein ausgesprochener Team-Worker war. Viele Arbeiten sind mit Kolleginnen und Kollegen in kontinuierlicher produktiver Auseinandersetzung über das gemeinsame Thema entstanden, wobei Strukturiertheit und Stringenz mit Innovationskraft und Diskussionsfreude gepaart waren. Zu nennen sind hier vor allem das Mittelniederdeutsche Wörterbuch, das niederdeutsche Textbuch wie auch die Arbeiten zur neuniederdeutschen und mittelniederdeutschen Grammatik. Gemeinsam mit Jörg Hennig leitete Dieter Möhn in den 1980er Jahren das von der DFG geförderte Projekt „Informationstransfer in den Wissenschaftssendungen des deutschen Fernsehens“. Beeindruckend war Dieter Möhns Gabe, wissenschaftliche Vorträge analytisch scharf, präzise und rhetorisch brillant zu gestalten.
Durch seine Tätigkeit in verschiedenen wissenschaftlichen Vereinigungen und Kommissionen hat Dieter Möhn nachhaltig die Forschung und die universitäre Lehre gefördert, so als Vorsitzender des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung von 1984 bis 1993, als Vorsitzender des Instituts für niederdeutsche Sprache in Bremen 1985 bis 1989, sowie in internationalen Zusammenhängen als Mitglied in Auswahlausschüssen des DAAD 1977 bis 1987, als Vorsitzender der deutsch-chinesischen Expertenkommission des Auswärtigen Amtes und des Chinesischen Erziehungsministeriums zur Entwicklung des Deutschunterrichts in der Volksrepublik China 1981 bis 1982 oder als deutscher Koordinator des Fachsprachenzentrums Shanghai 1986 bis 1988. Die Etablierung des Fachsprachenzentrums wurde 1986 mit der Ernennung zum Ehrenprofessor der Tongji-Universität Shanghai gewürdigt. In Anerkennung der Verdienste für die internationale Fachsprachenforschung wurde Dieter Möhn 2008 das „Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse“ vom Generalkonsul der Republik Österreich verliehen.
Nicht nur mit seinen vielfältigen Forschungsaktivitäten hat Dieter Möhn das Profil der Germanistik in Hamburg wesentlich geprägt. Auch an den Lehrveranstaltungen in den Bereichen Linguistik des Deutschen und Niederdeutsche Sprache und Literatur lässt sich dieser Perspektivenreichtum ablesen. Dass Studierende davon in hohem Maße profitiert haben, belegt die große Zahl von Abschlussarbeiten.
Als der Abbruch einer stark nachgefragten Lehrveranstaltung wegen des unerwarteten Todes des Seminarleiters drohte, übernahm er diskussionslos mit einem Kollegen die Fortführung und den Abschluss der Veranstaltung, um Nachteile für die Studierenden zu verhindern.
Eine Selbstverständlichkeit war für Dieter Möhn das Engagement in universitären Gremien. Direkt nach seiner Berufung wurde er zum Direktor des Germanischen Seminars gewählt und nahm dieses Amt wiederholt wahr. Als Sprecher des Fachbereichs Sprachwissenschaften war er maßgeblich an der Umsetzung der tiefgreifenden Universitätsreformen zu Beginn der 1970er Jahre beteiligt. Das hohe Maß an wissenschaftlicher Verantwortlichkeit wird ebenfalls in den zahlreichen wissenschaftshistorischen Beiträgen deutlich wie auch im Engagement für den Agathe-Lasch-Preis zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die stets kritische Auseinandersetzung mit Wissenschaftsgeschichte, wissenschaftlichen Institutionen und Wissenschaftspolitik ist in seinen Publikationen und immer wieder auch in akademischen Reden zum Ausdruck gekommen. Dieter Möhn hat sich der Verantwortung als Wissenschaftler gestellt und ist engagiert für die Autonomie der Universität und für eine freie und humane Wissenschaft eingetreten.
Bis zu seinem 80. Lebensjahr war Dieter Möhn regelmäßig in seinem Büro an der Universität Hamburg anzutreffen, um am Mittelniederdeutschen Wörterbuch zu arbeiten, dabei auch über Wissenschaft und Politik zu diskutieren und mit üppiger Ironie das Zeitgeschehen zu kommentieren. Er hat in seiner langen Schaffenszeit die niederdeutsche Philologie und die Fachsprachenforschung weit über Hamburg hinaus geprägt, hat auf vielfältige Weise Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern Wege eröffnet und das Institut wie den Fachbereich auch in schwierigen Zeiten mit Rat und Tat gefördert.
Die Universität Hamburg hat einen herausragenden Wissenschaftler und Hochschullehrer verloren. Kolleginnen und Kollegen, akademische Schülerinnen und Schüler und alle in Freundschaft verbundenen Weggefährtinnen und Weggefährten trauern um Dieter Möhn und werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Ingrid Schröder
Hamburg, im April 2025
Den Nachruf finden Sie hier auch noch einmal als PDF.