Call for Papers
Call for Papers
Reflexivität kommunikativer Praktiken: Neue Perspektiven auf Metakommunikation
Reflexivität sprachlicher Kommunikation bzw. sozialen Handelns ist in den letzten Dekaden zu einem Schlüsselkonzept in den sozial-, kultur- und sprachwissenschaftlichen Traditionen avanciert. Dennoch sind strukturelle Ressourcen, die fundamentale Tragweite sowie die partikularen Funktionen von Reflexivität im kommunikativen Alltag nur in ihren Ansätzen beschrieben: Durch Reflexivität zeigen Kommunikationsbeteiligte an, wie sie meinen, was sie sagen. Indem kommunikative Praktiken immer auch auf sich selbst und ihre Verwendungszusammenhänge verweisen, können Rezipientinnen und Rezipienten auf sozial geteilte Interpretationsrahmen schließen, die gegenseitiges Verstehen ermöglichen. Kommunikative Reflexivität basiert folglich auf jenen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen, in denen kommunikativen Praktiken soziale Bedeutung zugeschrieben wird. Kommunikation beinhaltet in dieser Perspektive also immer auch Metakommunikation (vgl. schon Jakobson 1960).
Strukturen, Funktionen und Dynamiken von reflexiver Kommunikation wurden in unterschiedlichen Forschungsrichtungen hinsichtlich verschiedener Teilaspekte und Forschungsinteressen in den Fokus genommen, so etwa in der Linguistik kommunikativer Praktiken (z.B. Deppermann/Feilke/Linke 2016), der Linguistischen Anthropologie (z.B. Lucy 1993; Agha 2007), der Interaktionalen Soziolinguistik (z.B. Gumperz 1982; Günthner/Kotthoff 1991), der Konversationsanalyse (z.B. Schegloff 1992), der Genderlinguistik (z.B. Günthner/Hüpper/Spieß 2012) sowie der qualitativen Videoanalyse (z.B. Knoblauch et al. 2006). Reflexivität bleibt dabei nie bloßer Forschungsgegenstand, der sich von außen beschreiben lässt: Indem Forschende soziale Bedeutungen rekonstruieren und interpretieren, werden sie selbst Teil der reflexiven Prozesse, die sie erforschen. Nicht minder relevant erscheint dementsprechend eine methodologisch-methodische Reflexivität (vgl. Bergmann 2006; Luckmann 2006), die die verschiedenen Traditionen sozial-ausgerichteter Sprachforschung eint. Der interdisziplinäre Austausch und eine Synthese paralleler Forschungsdiskurse sind dennoch bislang eher marginal geblieben.
Ziel der Tagung ist es daher, Forscherinnen und Forscher verschiedener Disziplinen zusammenzuführen, um eine kritische Bestandsaufnahme gegenwärtiger Reflexivitätsforschung anzustreben und ein differenziertes Bild von Reflexivität und Metakommunikation im Spannungsfeld von Sedimentation und Emergenz kommunikativer Praktiken zu gewinnen. Es sind theoretische wie empirische Beiträge – unabhängig ihrer disziplinären Verortung – zu folgenden, jedoch nicht ausschließlich folgenden Fragen willkommen:
Reflexivität und Struktur
Es stellt sich die Frage, innerhalb welcher struktureller Verfahren und unter Mobilisierung welcher verschiedener Zeichensysteme Ausdrucksformen für die situative Herstellung von Reflexivität genutzt werden. Mögliche Themen sind zum Beispiel, wie Reflexivität als Verdichtung von multimodalen Ressourcen strukturiert ist und wie sich reflexive Zeichenverbünde in Zeit und Raum entfalten. Darüber hinaus ist von Interesse, welche Rolle die Bedingungen unterschiedlicher Kommunikationsformen für die Herstellung reflexiver Strukturen spielen, etwa in der face-to-face-Interaktion (vgl. Deppermann 2013; Stukenbrock 2013), der medien-gestützten, institutionellen Wissensvermittlung (vgl. Krause i. Dr.; Knoblauch 2013) oder der digitalen, interpersonalen Kommunikation (vgl. Imo 2017).
Reflexivität und kommunikative Praxis
Weiterhin ist zu klären, wie und weshalb Gültigkeit reflexiver Verfahren in Gemeinschaften etabliert wird, wie sich Beteiligte auf dieser Grundlage verständigen (vgl. Mondada 2011; Günthner/Bücker 2009) und für wen damit verbundene soziale Positionierungen und Typisierungen gelten (vgl. Spitzmüller 2013; Spitzmüller/Flubacher/Bendl 2017). Anschließend an diese Perspektive auf Reflexivität als Verfahren sozialer Ordnung sind die Fragen danach relevant, wie reflexive kommunikative Dynamiken sozialisatorische Entwicklungen prägen (vgl. Kotthoff 2017; Urban 2001; Wortham 2006) und wie kommunikative Praktiken durch gesellschaftliche Transformationsprozesse, wie etwa die Mediatisierung, gewandelt werden (vgl. Androutsopoulos 2016; Hepp 2014).
Reflexivität und Metasprachdiskurse
Die Frage nach der Relation und Dynamik zwischen der Reflexivität kommunikativer Praktiken in Kommunikationssituationen und gesellschaftlichen Metasprachdiskursen ist bisher nicht systematisch beantwortet worden. Ein relevanter Ansatz scheint hier die Rekonstruktion sprachideologischer Diskursmuster, die bewirken, dass spezifische Zeichen mit sozialer Indexikalität aufgeladen werden und andere nicht (vgl. Irvine/Gal 2000; Agha 2007; Androutsopoulos 2011; Johnstone 2013; Jaffe 2016). Vor dieser Folie stellt sich die Frage, wie metapragmatische Bewusstheit geschaffen wird und in welcher Weise spezifische Zeichen profiliert bzw. ausgeblendet werden. Zudem ist von Interesse, welche Entwicklungen in Metasprachdiskursen die Valorisierung bzw. Registrierung kommunikativer Formen verändern und wie der Grad der Öffentlichkeit von Metasprachdiskursen diese Prozesse beeinflusst.
Wir ermutigen besonders den akademischen Nachwuchs zur Einreichung von Beitragsvorschlägen. Die Vortragsslots werden jeweils 20 Minuten Präsentation + 10 Minuten Diskussion umfassen. Tagungssprache ist Deutsch. Abstracts (als PDF, ca. 300–500 Wörter exklusive Literaturangaben) erbitten wir bis zum 31.03.2019 an florian.busch"AT"uni-hamburg.de. Mit einer Rückmeldung ist bis zum 30.04.2019 zu rechnen.
Hier können Sie sich den Call for Papers (PDF) herunterladen.
Literatur (Auswahl)
- Agha, Asif (2007): Language and Social Relations. Cambridge: Cambridge University.
- Androutsopoulos, Jannis (2016): Mediatisierte Praktiken. Zur Rekontextualisierung von Anschlusskommunikation in den Sozialen Medien. In: Deppermann, Arnulf/Feilke, Helmut/ Linke, Angelika (Hgg.), Sprachliche und kommunikative Praktiken. Berlin/Boston: de Gruyter, 337–368.
- Androutsopoulos, Jannis (2011): Die Erfindung ‚des‘ Ethnolekts. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 164: 93–120.
- Bergmann, Jörg (2006): Qualitative Medienforschung. Einleitung und Rahmung. In: Ayaß, Ruth/Bergmann, Jörg (Hgg.), Qualitative Methoden der Medienforschung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 13–41.
- Deppermann, Arnulf (Hg.) (2013): Special issue: Conversation Analytic Studies of Multimodal Interaction. Journal of Pragmatics 46(1): 1–172.
- Deppermann, Arnulf/Feilke, Helmut/Linke, Angelika (Hgg.) (2016): Sprachliche und kommunikative Praktiken. Berlin/Boston: de Gruyter.
- Gumperz, John J. (1982): Discourse Strategies. Cambridge: Cambridge University Press.
- Günthner, Susanne/Bücker, Jörg (Hgg.) (2009): Grammatik im Gespräch. Konstruktionen der Selbst- und Fremdpositionierung. Berlin/New York: de Gruyter.
- Günthner, Susanne/Hüpper, Dagmar/Spieß, Constanze (Hgg.) (2012): Genderlinguistik. Sprachliche Konstruktionen von Geschlechtsidentität. Berlin/Boston: de Gruyter.
- Günthner, Susanne/Kotthoff, Helga (Hgg.) (1991): Von fremden Stimmen – Weibliches und männliches Sprechen im Kulturvergleich. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Hepp, Andreas (2014): Mediatization as a panorama of media and communication research. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.), Mediatization and Sociolinguistic Change. Berlin/New York: de Gruyter, 49–66.
- Imo, Wolfgang (2017): Interaktionale Linguistik und die qualitative Erforschung computervermittelter Kommunikation. In: Beißwenger, Michael (Hg.), Empirische Erforschung internetbasierter Kommunikation. Berlin/Boston: de Gruyter, 81–108.
- Irvine, Judith T./Gal, Susan (2000): Language ideology and linguistic differntiation. In: Kroskrity, Paul V. (Hg.), Regimes of Language. Ideologies, Polities, and Identities. Santa Fe: School of American Research, 35–84.
- Jaffe, Alexandra (2016): Indexicality, stance and fields in sociolinguistics. In: Coupland, Nikolas (Hg.), Sociolinguistics. Theoretical Debates. Cambridge: Cambridge University. 86–112.
- Jakobson, Roman (1960): Closing Statement: Linguistics and Poetics. In: Sebeok, Thomas A. (Hg.), Style in Language. Cambridge, MA: MIT Press, 350–377.
- Johnstone, Barbara (2013): Ideology and discourse in the enregisterment of regional variation. In: Auer, Peter/Hilpert, Martin/Stukenbrock, Anja/Szmrecsanyi, Benedikt (Hgg.), Space in Language and Linguistics. Geographical, Interactional, and Cognitive Perspectives. Berlin/New York: de Gruyter, 107–127.
- Knoblauch, Hubert (2013): PowerPoint, Communication, and the Knowledge Society. New York: Cambridge University Press.
- Knoblauch, Hubert/Schnettler, Bernt/Raab, Jürgen/Soeffner, Hans-Georg (Hgg.) (2006): Video analysis. Methodology and Methods. Frankfurt am Main: Peter Lang.
- Kotthoff, Helga (2017): Schulische Eltern-Lehrperson-Sprechstunden unter der Lupe einer interaktionalen Soziolinguistik. Der Deutschunterricht 4/17, 40-53.
- Krause, Arne (i. Dr.): Supportive Medien in der wissensvermittelnden Hochschulkommunikation. Analysen des Handlungszwecks von Kreidetafel, OHP, PPT und Interactive Whiteboard. Berlin: Peter Lang.
- Luckmann, Thomas (2006): Die kommunikative Konstruktion der Wirklichkeit. In: Tänzler, Dirk/Knoblauch, Hubert/Soeffner, Hans-Georg (Hgg.). Neue Perspektiven der Wissenssoziologie. Konstanz: UVK, 15–26.
- Lucy, John A. (1993): Reflexive Language. Reported Speech and Metapragmatics. Cambridge: Cambridge University Press.
- Mondada, Lorenza (2011): Understanding as an embodied, situated and sequential achievement in interaction. Journal of Pragmatics 43(2): 542–552.
- Schegloff, Emanuel A. (1992): In antother context. In: Duranti, Alessandro/Goodwin, Charles (Hgg.), Rethinking Context. Language as an Interactive Phenomenon. Cambridge: Cambridge University Press, 191–227.
- Spitzmüller, Jürgen (2013): Metapragmatik, Indexikalität, soziale Registrierung. Zur diskursiven Konstruktion sprachideologischer Positionen. Zeitschrift für Diskursforschung 1(3), 263-287.
- Spitzmüller, Jürgen/Flubacher, Mi-Cha/Bendl, Christian (2017): Soziale Positionierung. Praxis und Praktik. Wiener Linguistische Gazette 81: 1–18.
- Stukenbrock, Anja (2013): Deixis in der face-to-face-Interaktion. Berlin/New York: de Gruyter.
- Urban, Greg (2001): Metaculture. How culture moves through the world. Minneapolis: University of Minnesota.
- Wortham, Stanton (2006): Learning Identity. The Joint Emergence of Social Identity and Academic Learning. Cambridge: Cambridge University Press.