Universität Hamburg - der Forschung, der Lehre, der Bildung, zur Homepage
Fachbereiche SLM I + II
FachbereicheSprache, Literatur und Medien
I + II

Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz

Grammatikwissen einsetzen

Grammatikwissen beim Fremdsprachengebrauch gezielt einsetzen

Versuchen Sie, in der natürlichen und unterrichtlichen fremdsprachlichen Kommunikation Ihr Grammatikwissen bewußt einzusetzen. Achten Sie nicht nur auf die Inhalte, sondern auch auf die formalen Eigenschaften der Fremdsprache. Vielleicht können Ihnen die folgenden Tipps dabei helfen:

  • Legen Sie beim Lesen von Texten bzw. Hören von Äußerungen Phasen ein, in denen Sie sich bemühen, bestimmte grammatische Phänomene (wieder)zuerkennen. Versuchen Sie, sich die Ihnen zugrunde liegenden Regularitäten in Erinnerung zu rufen, schlagen Sie diese nach oder fragen Sie nach, wenn Sie Ihnen nicht ganz vertraut oder unbekannt sind. Auf diese Weise schaffen Sie für sich einen Lernanlaß, denn Sie wiederholen bzw. vertiefen die entsprechenden Grammatikregeln. Ein zusätzlicher Vergleich mit den entsprechenden Strukturen Ihrer Muttersprache kann den Übungs- und Lerneffekt unterstützen. Beispiel
  • Versuchen Sie, bei der Sprachproduktion Ihr Wissen so anzuwenden, daß Sie beim Schreiben Ihre Texte bewußt nach den Ihnen vertrauten Grammatikregeln abfassen. Beim Sprechen bleibt hierfür keine Zeit.
  • Beim Sprechen können Sie Aufschluß über Ihre grammatische Kompetenz dadurch bekommen, daß Sie darauf achten, ob man Sie versteht, ob man zur Verständnissicherung das, was Sie sagen, noch einmal wiederholt und dabei umformuliert oder ob man Sie korrigiert.

Kognitive Aspekte des Grammatikgebrauchs in fremdsprachlicher Kommunikation

Kognitive Sprachlerntheorien betonen die Rolle der Sprach(lern)bewusstheit bei der Aktivierung fremdsprachlichen Wissens. Sie veranlasst Lerner dazu, gezielt Hypothesen ihrer Lernersprache zu testen und auf diese Weise ihr Wissen zu festigen bzw. auszubauen. Dazu bietet sich v.a. das Schreiben an, eine vorplanbare Sprachproduktion, die sich für den bewussten Einsatz von Grammatikwissen besonders gut eignet.

In mündlicher Kommunikation ist dagegen die Sprachproduktion aus Zeitgründen nur sehr bedingt kontrollierbar. Ergiebiger für das Einüben (und Sich-Einprägen) von Grammatik ist dort vielmehr die unaufgeforderte Reaktion der Gesprächspartner bzw. die Lehrer- oder Mitlernerreaktion auf Lerneräußerungen. Diese Reaktionen können Lerner für Wissenslücken sensibilisieren, z.B. dafür, daß sie nur über implizites (unscharfes, nicht artikulierbares) Wissen um die fremdsprachlichen grammatische Erscheinung verfügen. Füllen sie diese Kenntnislücke auf, z.B. durch Nachschlagen in einer Grammatik, machen sie ihr implizites Grammatikwissen ("Man sagt so in der Fremdsprache”) zu explizitem, äußerbarem Wissen ("Man sagt so in der Fremdsprache, weil ...”). Beispiel

Kognitiv betrachtet ist diese Wissensform tiefer im fremdsprachlichen Gedächtnis verankert, denn sie beruht nicht nur auf einer Vernetzung der einfachen wertenden Konzepte ‘richtig’ und ‘falsch’, sondern zusätzlich auf komplexeren Wissensbausteinen wie z.B. Wissen um Routinen oder Kenntnis der grammatischen Regularitäten, die dieses Urteil stützen und begründen.

Literatur

Entdecken und Nachschlagen wenig vertrauter bzw. unbekannter grammatischer Strukturen

Stellen Sie sich vor, Sie lesen/hören in der Fremdsprache Frz.: les grands vins de France (Ergänzung mit de + Nullartikel). Diese Struktur kommt Ihnen "irgendwie komisch" vor, denn Sie haben bisher immer nur gelesen/gehört: les industries-clés (oder: les habitants, les partis politiques) de la France (Ergänzung mit de + best. Artikel) – und im Dt. heißt es unterschiedslos: die großen Weine (die Schlüsselindustrien ...) Frankreichs (Ergänzung mit Nullartikel). Sind Sie für diese bewusst wahrgenomme Wissenslücke sensibilisiert worden und informieren Sie sich über die entsprechenden Regularitäten, z.B. in grammatischen Nachschlagewerken, so schaffen Sie sich eine Lerngelegenheit, Ihr Grammatikwissen zu vertiefen und auszubauen.

In diesem Fall ergibt sich folgender Wissenszuwachs: "Bildet die Nominalgruppe und ihre Ergänzung keinen einheitlichen Begriff, sondern ist die Erweiterung grundsätzlich gegen andere austauschbar, steht bei Feminina und Maskulina mit vokalischen Anlaut de + best. Artikel. Bilden beide einen einheitlichen Begriff, z.B. Titel (les rois de France), Einrichtungen des öffentlichen Lebens (l'ambassade d'Espagne), typische Landeserzeugnisse (les vins de Savoie), verschiedene historische, kulturelle und geographische Bezeichnungen (l'histoire de Russie, Le Tour de France, les bocages de Normandie), so steht de + Nullartikel."

Implizites in explizites Grammatikwissen überführen

Sie wissen, dass es im Engl. heißt: We have had (nicht: *we have) this car for more than ten years, im Dt. jedoch: Wir haben diesen Wagen schon seit über zehn Jahren. Sie können jedoch nicht sagen, warum im Engl. das present perfect gebraucht wird, im Dt. dagegen das Präsens. Damit verfügen Sie über implizites Wissen über die betreffende Struktur.

Sie verwandeln Ihr implizites Wissen in explizites Wissen, wenn Sie sich über die zugrunde liegenden Regularitäten informieren ("Bei Sachverhalten, die in der Vergangenheit eingetreten sind und in der Gegenwart noch andauern, nimmt man im Engl. auch bei Ausdrücken wie since (last year), for (ten years), how long (How long have you known him?) das present perfect.
Im Gegensatz dazu verwendet man im Dt. das Präsens: (Ich kenne ihn (schon ) seit letztem Jahr <seit zehn Jahren>. Wie lange kennst Du ihn (schon)?)”.

Literatur: Grammatikwissen beim Fremdsprachengebrauch gezielt einsetzen

Untersuchungen zur Rolle sprachbezogener Lernerfragen im Fremdsprachenunterricht finden sich bei:

  • Raabe, H. 1991 "Lernende als Linguisten? Zum prozeduralen Wissen Lernender", in Fremdsprachen lehren und lernen 20, 161-173
  • Raabe, H. 1992 "Analysen zum prozeduralen Wissen beim Fremdsprachenlernen", in A. Barrera-Vidal et al. (Hrsg.) 1992 Grammatica vivat - Konzepte, Beschreibungen und Analysen zum Thema ‘Fremdsprachengrammatik’. In memoriam Hartmut Kleineidam, Tübingen: Narr, 242-252. (= Tübinger Beiträge zur Linguistik, Bd. 365)
  • Eckerth, J. 1998 Kognitive Aspekte sprachbezogener Lernerfragen. Interaktion und Kognition im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht, Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.