Heinzel-Scherer
Zusammenfassung
Im Gegensatz zu Wilhelm Scherer, der nach Jacob Grimm als bedeutendste Gründungsgestalt der deutschsprachigen Germanistik im 19. Jahrhundert gilt, ist sein Freund und Schüler Richard Heinzel, dessen Korrespondenz von der Studienzeit bis zu Scherers Tod reicht, in der Wissenschaftsgeschichte der Germanistik weithin vergessen, obwohl er – vielleicht im Verein mit Anton E. Schönbach – der bedeutendste österreichische Altgermanist des 19. Jahrhunderts war. Die bereits in einer elektronischen Form vorläufig edierten 360 Korrespondenzstücke sollen mit Hilfe des beantragten Forschungsprojekts kommentiert und mitsamt einer knappen Darstellung der wissenschaftlichen Position Heinzels publiziert werden.
Eine Edition der Briefe Heinzels an Scherer ist nicht allein aus antiquarischen, wissenschaftshistorischen Gründen geboten. Heinzels Forschungen zur althochdeutschen und mittelhochdeutschen Literatur, seine Auffassung der Literaturgeschichte als Kunstgeschichte der Poesie sowie vor allem sein Forschungsprogramm zur Beschreibung literarischer Gattungen weisen ihn als einen – auch gegenüber Scherer – eigenständigen Gelehrten aus, dessen Originalität und Leistung von der Wissenschaftsgeschichte und der germanistischen Forschung bislang kaum zur Kenntnis genommen worden ist. Überdies ermöglicht die Korrespondenz den Zugang zu einer Frage, die von der germanistischen Wissenschaftsgeschichte bislang kaum gestreift wurde: in welcher Weise sich nämlich die österreichische von der deutschen Germanistik im 19. Jahrhundert – und darüber hinaus –unterscheidet.
Die Kommentierung der Korrespondenz stellt aus zwei Gründen eine besonders anspruchsvolle Aufgabe dar: zum einen, weil auf Grund der Vernichtung des Heinzel-Nachlasses und der überaus schlechten Forschungslage sehr viele, teils unedierte, Quellen, teil und kontextrelevante Sekundärtexte herangezogen werden müssen, zum anderen weil Heinzel auf dem Gebiet der indogermanischen und germanischen Sprachwissenschaft, der mittelalterlichen Literatur aber auch auf dem Gebiet der schönen Literatur speziell des ausgehenden 19. Jahrhunderts in vielen Sprachen über eine Gelehrsamkeit und Belesenheit verfügte, die heute kein einzelner Forscher zu überschauen vermag und die es detailliert zu rekonstruieren gilt. Sowohl auf dem Gebiet der hier einschlägigen Quellen als auch in der Forschungsliteratur verfügt der Antragsteller über Vorarbeiten und Vorkenntnisse, die es ermöglichen, den Kommentar und die Darstellung im Verein mit dem Bearbeiter im beantragten Förderungszeitraum zu realisieren.
Projektleitung: Prof. Dr. Hans-Harald Müller
Förderung: Fritz Thyssen Stiftung
Projektlaufzeit: 1.5.2016 bis 30.4.2017