Widerständige Praxen (WiPra)
Postmigration in Literatur, Medien und Sprache der Gegenwart
Koordination: Dr. Jara Schmidt & Dr. Jule Thiemann
Das Forschungsnetzwerk »Widerständige Praxen« setzt es sich zur Aufgabe, mit transdisziplinären Analysen von Literatur, Film, Theater, digitalen Medien und Sprache zur Erforschung postmigrantischer Diskurse unserer Gesellschaft beizutragen und dabei insbesondere Diskriminierungsrealitäten, Widerstandspraxen und eine künstlerische Wehrhaftigkeit Marginalisierter in den Fokus zu rücken.
Die Mitglieder des Netzwerks arbeiten einem interdisziplinären Weiterdenken des Postmigrantischen zu, das hier gemäß der Theaterschaffenden Shermin Langhoff, die den Begriff mit ihrer Arbeit in die öffentliche Debatte einführte, die Perspektiven und Geschichten derer meint, die nicht mehr selbst migriert sind, diesen sogenannten Migrationshintergrund aber als persönliches Wissen und kollektive/familiale Erinnerung mitbringen. Ferner steht ›postmigrantisch‹ laut Langhoff »in unserem globalisierten, vor allem urbanen Leben für den gesamten gemeinsamen Raum der Diversität jenseits von Herkunft.« [1] Dem Erziehungswissenschaftler und Soziologen Erol Yıldız zufolge ist die postmigrantische Perspektive zudem eine politische Geisteshaltung, »die auch subversive, ironische Praktiken einschließt und in ihrer Umkehrung provokant auf hegemoniale Verhältnisse wirkt.« [2] Yıldız und Hill fassen den Begriff ›Postmigration‹ im Sinne einer Denkfigur, die »ein Überwinden von Denkmustern, das Neudenken des gesamten Feldes, in welches der Migrationsdiskurs eingebettet ist, meint – mit anderen Worten: eine kontrapunktische Deutung gesellschaftlicher Verhältnisse.« [3] Die postmigrantische Perspektive wirkt irritierend auf eine nationale Mythenbildung und fordert einen kritischen Blick auf eine Geschichtsschreibung, in der beispielsweise Migrationsprozesse und Fluchtbewegungen oftmals aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft erzählt werden.
Die Forschung des Netzwerks »Widerständige Praxen« zu verschiedenen – künstlerischen, literarischen, filmischen, theatralen, medialen und sprachlichen – postmigrantischen Verfahren möchte deshalb im Sinne eines Perspektivwechsels den Blick auf eine ›radikal diverse Gesellschaft‹ [4] schärfen. Diversität und Postmigration werden demnach als allgegenwärtig und alle Gesellschafts- wie Forschungsbereiche betreffend gedacht und nicht als exklusive Forschungsfelder oder Phänomene.
Die Idee zur Gründung des Netzwerks entstand im Rahmen der von den Koordinatorinnen veranstalteten interdisziplinären Tagung »Reclaim! Postmigrantische Diskurse der Aneignung«, die im September 2020 im Warburg-Haus in Hamburg stattfand und Forschende der Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften sowie der Stadtforschung zusammenbrachte, die sich mit gegenwärtigen künstlerischen, gesellschaftlichen wie politischen Verfahren der Widerständigkeit auseinandersetzen. Das von den Organisatorinnen und Referent*innen initiierte Netzwerk »Widerständige Praxen« soll als Infrastruktur für einen Wissens- und Ideentransfer dienen, im Rahmen dessen Ergebnisse ausgetauscht und diskutiert werden, sowie als interdisziplinärer Verbund von Forschenden, die ihre Expertise im Sinne einer breiten Dissemination in die Wissenschaft und Gesellschaft tragen.
[1] Bundeszentrale für politische Bildung: »Die Herkunft spielt keine Rolle – ›Postmigrantisches‹ Theater im Ballhaus Naunynstraße. Interview mit Shermin Langhoff«, in: Bundeszentrale für politische Bildung – Dossier für kulturelle Bildung vom 10.03.2011, https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/kulturelle-bildung/60135/interview-mit-shermin-langhoff (Zugriff am 14.01.2021).
[2] Erol Yıldız: »Postmigrantische Perspektiven. Aufbruch in eine neue Geschichtlichkeit«, in: Marc Hill / ders. (Hg.): Nach der Migration. Postmigrantische Perspektiven jenseits der Parallelgesellschaft, Bielefeld 2015, S. 19–36, hier S. 23.
[3] Marc Hill / Erol Yıldız: »Editorial«, in: Dies. (Hg.): Postmigrantische Visionen. Erfahrungen – Ideen – Reflexionen, Bielefeld 2018, S. 2.
[4] Vgl. Max Czollek: Gegenwartsbewältigung, München 2020, S. 158–159.
Koordinatorinnen
Mitglieder
Carlos Kong, Princeton University, New Jersey
Kurzbiografien der Netzwerk-Mitglieder