Vokabelraten

Vokabelraten
Jeder Lerner stößt beim Hören oder Lesen von Texten auf Wörter, die er nicht kennt. Da er oft nicht die Zeit hat, jedes unbekannte Wort nachzuschlagen, muss er Bedeutungen intelligent raten können. Dies geschieht über die Analyse der Wortform, vor allem aber mit Hilfe des Kontextes.
- Dieser kann die Gesamtsituation der Äußerung sein oder der gesamte Lesetext (Frage: Worum geht es eigentlich?).
- Er kann auch den engeren Textabschnitt oder Satz umfassen, in dem das unbekannte Wort erscheint. Dabei können grammatische Merkmale wichtig sein (Frage: Ist das Wort ein Substantiv oder ein Verb? Worauf bezieht sich das Wort im Satz?). Aber auch lexikalische Hinweise können wichtig sein (Frage: Legt ein anderes Wort im gleichen Satz fest, welchem Bedeutungsbereich das unbekannte Wort angehören muss?).
- Schließlich ist auch der engste Kontext zu prüfen (Frage: Welche Hinweise geben die Wörter unmittelbar vor und nach dem unbekannten Wort?).
Bedeutungsraten geschieht immer in einem Zusammenspiel zwischen eigenem Wissen und Textinformationen. Dieser Prozess kann je nach Zeit, Aufmerksamkeit, Interesse und Textschwierigkeit mehr oder weniger bewusst gesteuert bzw. automatisiert ablaufen. Bedeutungsraten kann sowohl dem Verstehen des Textes als auch dem Lernen des Wortes dienen. Dazu ist jedoch jeweils ein unterschiedlich hoher Bewusstheitsaufwand nötig. Erfolgreiches Verstehen erfordert nicht notwenderweise hohen Aufwand: wer es schafft, routiniert, schnell und dennoch erfolgreich zu raten, verliert nichts und spart sogar Zeit und kognitive Ressourcen, die anderswo eingesetzt werden können. Für das Behalten des Wortes, etwa für eine spätere Verwendung, ist hingegen eine intensive und bewusste Analyse der möglichen Wortbedeutungen günstig, nach dem Prinzip der mental effort hypothesis: Je größer die mentale Anstrengung, desto nachhaltiger die Behaltensleistung.